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beseitigen. Nichtsdestoweniger aber bleibt es ein Theil des richterlichen no
bile officium, die Parteien und besonders die ungelehrten so anzuleiten
daß sie nicht in Folge der Proceßvorschriften ihr materielles Recht verlieren,
und will der Richter sich dieser Pflicht entledigen ohne eine unverhältnißmä
ßige Arbeit und ohne genöthigt zu sein, vor jedem Schritte, welchen er im
Processe macht, immer wieder alle Punkte zu prüfen, so wird er am besten
thun, wenn er von vorn herein die Parteien überall anhält, der fortbeste
heuden formellen Vorschrift gemäß, jede ihrer Behauptungen sofort mit Be
weismitteln zu versehen. Nur dadurch kann bei den jetzigen Proceßgrund
sätzen ein geregelter Proceßgang erhalten werden,
2. In unserer Gerichtsordnung kommt freilich auch einmal eine Ausdrucksweise
vor, durch welche man zu der Annahme verleitet werden könnte, daß sie die
Eideszuschiebung auch zur Entscheidung von Rechtsfragen für ein geeignetes
Mittel halten müsse. Denn § 255. Tit. 10. Thl. I. heißt es, durch den zu
geschobenen Eid werde der Delat „Richter in seiner eigenen Sache.“
Allein, wie aus §§ 246. 249 ff. daselbst hervorgeht, will die Gerichtsordnung
doch nur einen Eid über Thatsachen zulassen (wozu freilich auch innere
Thatsachen, die eigenen Gedanken, gehören können, vergl. § 595. Tit. 21.
Thl. I. A. L. R.) und jenes Richteramt, welches durch die Eideszuschiebung
dem Gegner übertragen wird, ist daher eigentlich, um in den Ausdrücken
des heutigen Criminalprocesses zu reden, nur das Amt des Geschworenen;
der Gegner soll durch seinen Eid die Thatfragen feststellen, aus welchen der
Richter seine Entscheidung entnehmen will. — Uebrigens ist jene Ausdrucks
weise aus dem „Project des Codicis Fridericiani Marchici vom 3. April
1748“ herübergenommen, wo es Thl. 3. Tit. 30. § 12 heißt: „Er kann auch,
da er zum Richter seiner eigenen Sache gesetzt wird, zur Vertretung seines
Gewissens mit Beweis nicht zugelassen werden." Diese Regel ist in der Ge
richtsordnung gänzlich umgestaltet, aber jene Ausdrucksweise behielt man bei.
Die auch schon im Landrecht enthaltenen Beschränkungen der Eideszuschie
bung (I, 4, §§ 45 und 49: wenn widerrechtlicher Zwang erlitten und die
achttägige Frist zur Anzeige nicht gewahrt ist, und I, 16, §§ 106 f.: wenn
wegen einer ohne Zahlungsempfang ausgestellten Onittung drei Monate lang
keine Klage erhoben worden ist) sind nicht sowohl aus dem Widerwillen gegen
die Eideszuschiebung hervorgegangen, — denn sonst würde dieselbe von den
Verfassern unserer Gesetzbücher nicht so sehr begünstigt werden, — sondern
aus dem Streben, mehrere häufig zur Chikane benutzten Einreden gänzlich
abzuschneiden, oder doch die Parteien zu nöthigen, wenn sie wirklich zu der
artigen begründeten Beschwerden Veranlassung haben, solche sofort, und ehe
die Spuren zur Erkennung des Sachverhältnisses verwischt sind, zur recht
lichen Cognition zu bringen.
4. Unsere Gerichtsordnung sagt allerdings (Tit. 10. §. 245) daß der Eid, wor
unter dem Zusammenhange nach nur der zugeschobene zu verstehen ist, „nicht
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