I. Erkrankung während der Dienstzeit.
1. Ohne Verschulden der Herrschaft.
a) Die Ansprüche des Gesindes.
§ 4.
Begriff, Art und Umfang der Fürsorgepflicht.
Die Pflicht der Herrschaft zur Fürsorge für ihr Gesinde entsteht!)
mit Abschluß des Gefindedienstvertrages. Dieser Vertrag fällt unter den
allgemeinen Begriff des Dienstvertrages, bildet aber eine besondere Art
desselben; insbesondere erhält das Verhältnis zwischen Herrschaft und
Gefinde durch die Aufnahme des letzteren in die häusliche Gemeinschaft
der ersteren einen familienrechtlichen Charakter,*) und aus diesem engen
Verhältnis erklärt sich auch die umfangreiche Fürsorge, welche der Herr
seinem Gesinde durchweg zukommen lassen muß.
Die Vorschriften über die Fürsorgepflicht sind zwingender Natur:
sie können durch Vertrag nicht im voraus zum Nachteile des Gefindes
aufgehoben oder beschränkt werden (§ 619 BGB.). In der Gefindeordnung
ist dieses zwar nicht ausdrücklich hervorgehoben worden, ist aber auch
hier nach der Tendenz des Gesetzes, den wirtschaftlich Schwachen zu schützen,
anzunehmen.
Die Fürsorgepflicht tritt ein im Falle der Erkrankung des Ge
sindes. Unter Krankheit ist mit Gerhard') jede körperliche oder geistige
Veränderung zu verstehen, welche besondere Maßnahmen zu ihrer Beseitigung
zu be
erfordert. Diese brauchen nicht immer in ärztlicher Behandlung
stehen; auch die Fälle, wo das Gefinde selbst, die Herrschaft oder irgend
hierher.
ein nicht geprüfter Heilkundiger die Heilung herbeiführt, gehören
für das
Es ist daher Jacoby*) nicht beizupflichten, wenn er die Kosten
weil
Ausziehen eines Zahnes der Herrschaft deshalb nicht auferlegen will
Was
auch ein Barbier oder Zahntechniker ihn hätte ausziehen können.
zwar nicht in allen
insbesondere die Zahnfäule*) anlangt, so ist diese
stets aber
Stadien und unter allen Umständen als Krankheit anzusehen,
*) Beginnt aber natürlich erst mit dem Dienstantritt.
Daraus ergab sich auch
2) Dieser wurde besonders im ALR. stark betont.
die Stellung
der früher an Stelle der Gesindeordnung in Geltung gewesenen
1—176 II, 5 ALR. im Familienrecht. Diese Stellung ist indessen, wie Stobbe
Lehmann, Handb. d. deutsch. PrivR. III S. 449 hervorhebt, nicht gerechtfertigt:
denn die Verpflichtung zur Leistung der Dienste entspringt nicht aus dem Subjektions
verhältnisse, sondern beruht auf dem Dienstvertrage.
*) Geso. I S. 123.
S. 137.
3) vgl. hierzu DIZ. 1906 S. 827, wo es sich allerdings um das Kranken
versicherungsgesetz handelt.