Full text: Marx, Ferdinand: ¬Die Fürsorge der Herrschaft für ihr krankes Gesinde nach der preuß. Gesindeordnung vom 8. November 1810 und dem Bürgerlichen Gesetzbuche

I. Erkrankung während der Dienstzeit. 
1. Ohne Verschulden der Herrschaft. 
a) Die Ansprüche des Gesindes. 
§ 4. 
Begriff, Art und Umfang der Fürsorgepflicht. 
Die Pflicht der Herrschaft zur Fürsorge für ihr Gesinde entsteht!) 
mit Abschluß des Gefindedienstvertrages. Dieser Vertrag fällt unter den 
allgemeinen Begriff des Dienstvertrages, bildet aber eine besondere Art 
desselben; insbesondere erhält das Verhältnis zwischen Herrschaft und 
Gefinde durch die Aufnahme des letzteren in die häusliche Gemeinschaft 
der ersteren einen familienrechtlichen Charakter,*) und aus diesem engen 
Verhältnis erklärt sich auch die umfangreiche Fürsorge, welche der Herr 
seinem Gesinde durchweg zukommen lassen muß. 
Die Vorschriften über die Fürsorgepflicht sind zwingender Natur: 
sie können durch Vertrag nicht im voraus zum Nachteile des Gefindes 
aufgehoben oder beschränkt werden (§ 619 BGB.). In der Gefindeordnung 
ist dieses zwar nicht ausdrücklich hervorgehoben worden, ist aber auch 
hier nach der Tendenz des Gesetzes, den wirtschaftlich Schwachen zu schützen, 
anzunehmen. 
Die Fürsorgepflicht tritt ein im Falle der Erkrankung des Ge 
sindes. Unter Krankheit ist mit Gerhard') jede körperliche oder geistige 
Veränderung zu verstehen, welche besondere Maßnahmen zu ihrer Beseitigung 
zu be 
erfordert. Diese brauchen nicht immer in ärztlicher Behandlung 
stehen; auch die Fälle, wo das Gefinde selbst, die Herrschaft oder irgend 
hierher. 
ein nicht geprüfter Heilkundiger die Heilung herbeiführt, gehören 
für das 
Es ist daher Jacoby*) nicht beizupflichten, wenn er die Kosten 
weil 
Ausziehen eines Zahnes der Herrschaft deshalb nicht auferlegen will 
Was 
auch ein Barbier oder Zahntechniker ihn hätte ausziehen können. 
zwar nicht in allen 
insbesondere die Zahnfäule*) anlangt, so ist diese 
stets aber 
Stadien und unter allen Umständen als Krankheit anzusehen, 
*) Beginnt aber natürlich erst mit dem Dienstantritt. 
Daraus ergab sich auch 
2) Dieser wurde besonders im ALR. stark betont. 
die Stellung 
der früher an Stelle der Gesindeordnung in Geltung gewesenen 
1—176 II, 5 ALR. im Familienrecht. Diese Stellung ist indessen, wie Stobbe 
Lehmann, Handb. d. deutsch. PrivR. III S. 449 hervorhebt, nicht gerechtfertigt: 
denn die Verpflichtung zur Leistung der Dienste entspringt nicht aus dem Subjektions 
verhältnisse, sondern beruht auf dem Dienstvertrage. 
*) Geso. I S. 123. 
S. 137. 
3) vgl. hierzu DIZ. 1906 S. 827, wo es sich allerdings um das Kranken 
versicherungsgesetz handelt.
	        
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