Full text: Marx, Ferdinand: ¬Die Fürsorge der Herrschaft für ihr krankes Gesinde nach der preuß. Gesindeordnung vom 8. November 1810 und dem Bürgerlichen Gesetzbuche

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B. Die Fürsorge der Herrschaft für das kranke Gesinde. 
§ 3. 
Gesindeordnung und Bürgerliches Gesetzbuch. 
Wenn wir nunmehr zur Untersuchung der eigentlichen Frage über 
gehen, welche Pflichten der Herrschaft gegenüber dem kranken Gesinde nach 
so ist zunächst zu prüfen, welchen Einfluß 
dem geltenden Rechte obliegen, 
das Bürgerliche Gesetzbuch in diesem Punkte auf das Gesinderecht aus 
geübt hat. Der Art. 95 des Einführungsgesetzes läßt zwar, wie eingangs 
erwähnt, im allgemeinen das frühere Recht bestehen, hat aber gerade die 
auf die Fürsorge bezüglichen §§ 617--619 des BGB. für anwendbar 
erklärt, den hauptsächlich in Betracht kommenden § 617 jedoch nur insoweit, 
als die Landesgesetze dem Gefinde nicht weitergehende Ansprüche gewähren. 
Diese eigentümliche Gestaltung der Gesetzgebung, welche mit Gerhard! 
nicht als glücklich bezeichnet werden kann, bedingt für das von dem § 617 
betroffene Gebiet in jedem einzelnen Falle*) eine Untersuchung darüber, 
ob die Gefindeordnung oder das Bürgerliche Gesetzbuch das Gefinde 
günstiger stellt, was um so schwieriger ist, als das Bürgerliche Gesetzbuch 
nur eine einheitliche Bestimmung, die Gesindeordnung aber verschiedene 
Abstufungen, sowohl in den Voraussetzungen, als auch dem Umfange der 
Fürsorgepflicht kennt. Aus diesem Grunde sollen auch bei der hierauf 
bezüglichen Darstellung zunächst die Vorschriften der Gesindeordnung be 
sprochen, diesen dann die des § 617 in ihren Einzelheiten gegenübergestellt 
werden. Aus der Abwägung gegeneinander ergibt sich dann das für das 
Gefinde jeweils günstigere Rechtsbild, somit das geltende Recht. 
Der normale Fall der Fürsorgepflicht ist der, daß die Krankheit 
während der Dienstzeit, unabhängig von einem Verschulden der Herrschaft, 
eintritt.*) Daneben sind aber auch die Fälle zu berücksichtigen, wo die 
Krankheit von der Herrschaft verschuldet ist, oder schon vor Beginn der 
Dienstzeit vorhanden ist. 
*) GesO. I S. 110 u. Blätter f. Rechtspfl. 1897, S. 93. 
Gutsherrn für sein Gesinde S. 218, regt 
Hedemann, Die Fürsorge des 
geringeren Tragweite 
Zweifel darüber an, ob die Bewertung der größeren oder 
des § 617 BGB. jedem einzelnen Tatbestande der Gesindeordnung gegenüber vor 
der Gesindeordnung 
zunehmen, oder ob eine Gesamtwertung des ganzen Systems 
gegenüber dem Reichsrecht am Platze sei. Diese Bedenken können nicht geteilt 
werden. Denn bei einer allgemeinen Bewertung kann kein sicheres Resultat ge 
wonnen werden, weil nach der einen oder anderen Richtung stets ein Gesetz einem 
anderen gegenüber das günstigere bleibt. Zudem hätte, wenn eine Gesamtwertung 
gewollt wäre, der Gesetzgeber dieses wohl in der Weise zum Ausdruck gebracht, 
daß er der Landesgesetzgebung die Befugnis eingeräumt hätte, an Stelle des § 617 
die entsprechenden Vorschriften der Landesgesetze zu setzen, wenn diese günstiger 
seien. vgl. auch „Recht" 1902 S. 392 und Schultzenstein der § 617 BGB., im 
Arch. f. bürgerl. Recht Bd. 23 S. 310. 
*) Diesen Fall behaudelt der § 617 BGB.
	        
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