III. Buch. Von den Obligationen.
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§. 217.
auch streng genommen keine Forderung5, doch eine Schuldverbindlichkeit
bestehe oder bestanden habe', kann auch sonst unter Umständen gerichtlich
geltend gemacht werden, wo es dazu der Klage nicht bedarf, namentlich
zum Zweck der Compensation". Und das Daseyn einer wenn gleich klag
losen Obligatio kann insbesondere auch dadurch Bedeutung gewinnen, daß
sich daran ein anderes, selbst eine Klage begründendes, Rechtsverhältniß
anknüpft, welches zu seiner Entstehung zwar eine Obligatio, aber nicht
gerade eine klagbare Obligatio voraussetzt". Die Annahme solcher unvoll
kommenen aber doch nicht völlig nichtigen Obligationen beruht darin, daß
man nach natürlicher Rechtsanschauung, nach der naturalis ratio, eine
Verbindlichkeit auch in solchen Fällen, wo aus Gründen des positiven
Rechts eine wirksame Klage ausgeschlossen war, begründet fand, und jener
denn auch als einer Rechtsverbindlichkeit diejenige Bedeutung beilegte, die
sie ohne die Klagbarkeit haben konnte, soweit dies nicht der ihrer vollen
Wirksamkeit entgegenstehenden Rechtsbestimmung zuwider war“. Daher
die Benennung: naturalis obligatio, und die Bezeichnung derselben als
eines vinculum aequitatis°. Aber diese erscheint nur als eine Ausnahme;
regelmäßig und vorzugsweise wird unter Obligatio schlechtweg ein klag
bares Schuldverhältniß verstanden?, mag es nun seinem Ursprung nach
als in dem allgemeinen Rechte (ius gentium) begründet oder dem eigen
thümlichen Recht der Römer (ius civile) angehörig betrachtet werden.
Wenn aber ein Verhältniß in keiner Weise, sey es auch zufolge besondrer
positiver Rechtsbestimmung, sich rechtlich wirksam erweist, dann ist auch
von einer naturalis obligatio keine Rede.
Die einzelnen Fälle nun, in welchen eine Naturalobligation in dem
angegebenen Sinne stattfindet', sind sehr verschiedenartig, auch in sofern,
als nicht in allen Fällen in allen angegebenen Beziehungen dieselbe recht
lich wirksam ists. Im Allgemeinen ist hier nur zu bemerken, daß sie
stattfinden kann, sowohl wo eine klagbare Obligatio nach Civilrecht schlecht
hin nicht oder nicht mehr vorhanden ist * (iure civili oder ipso jure
nulla oder sublata obligatio), als auch wo die mit der Obligatio an
sich verbundene Klage durch eine entgegenstehende Exceptio, sey diese nun
von Anfang an oder erst durch einen später eingetretenen Umstand
1 L. 10. D. de V. S. L. 16. §. 4. cit. cf. L. 41. D. de peculio. 15. 1. m L. 6. D. de
compens. 16. 2. L. 26. §. 9. D. de cond. indeb. L. 8. §. 1. D. ratam rem hab. 46. 8. n L. 16.
8. 3. L. 60. D. de fideiuss. 46. 1. L. 5. pr. D. de pign. 20. 1. L. 1. §. 7. D. de pec.
const. 13. 5. L. 1. §. 1. D. de novat. 46. 2. ° L. 95. §. 4. cit. L. 84. §. 1. D. de R. J. L. 22.
pr. 32. D. eod. vgl. mit L. 64. D. de cond. indeb. L. 59. D. h. t. 44. 7.
pr. §. 1. J. de
obl. 3. 13. L. 7. §. 4. D. de pact. 2. 14. 1 L. 14. D. h. t. 44. 7. L. 38. D. de cond. indeb.
12. 6. — cf. L. 2. §. 2. D. de cap. min. 4. 5. L. 30. §. 1. D. ad leg. Aquil. 9. 2. vgl. mit
Gai. IV. 104.