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Im römischen Recht ist nur ein Fall des gemeinsamen Nothstands:
der des Seewurfs*), gesetzlich geregelt. Der Schiffer durfte, wie es
scheint?), auch gegen den Willen der Betheiligten die Nothstandsver
letzungen vornehmen. Es ist hier ein wahres Nothrecht anzuerkennen,
Dasselbe gilt für das moderne Recht3).
Schluß.
§ 40.
Wir haben versucht, die Nothstandsgedanken im Civilrecht zu ver
folgen. Wir haben gesehen, daß die Vertheidigung gegen Thiere und
Sachen civilrechtlich nichts Anderes als ein Anwendungsfall der Noth
wehr und daher berechtigt ist. Ebenso haben wir in der eigenmächtigen
Abholung und Trennung eigener Sachen bei drohender Gefahr einen
Fall berechtigter Selbsthülfe erkannt. Endlich haben wir in den Be
stimmungen der 1. Rhodia ein Nothrecht des Schiffers gefunden. In
allen übrigen Fällen des Nothstands handelt es sich, wie wir glauben,
im römischen Recht nur um Straflosigkeit, nicht um eine Ausnahme
von der den Eingriff in eine fremde Rechtssphäre verbietenden Norm,
Wo Selbstvertheidigung, berechtigte Selbsthülfe oder die Ausübung
eines Nothrechts vorliegt, da muß auch in unserem Strafrecht, da jede
Strafe eine verbotene Handlung voraussetzt, die Straflosigkeit der
Nothstandsverletzung über den in Str.=G.=B. § 54 geregelten Fall der
Gefahr für Leib und Leben hinaus anerkannt werden. Für die übrigen
Fälle läßt sich aus dem Civilrecht ein Grund der Straflosigkeit nicht
ableiten. Wie unbillig es auch erscheinen mag, die Nothstandsverletzung
zum Schutz des Vermögens bleibt nach positivem Rechte strafbar,
Die vielbestrittene Frage, ob aus der bloßen Gemeinsamkeit der Gefahr für den
jenigen, welchen der Schaden endgültig trifft, ein Ersatzanspruch gegen die Mit
gefährdeten entsteht, Windscheid a. a. O. Anm. 15, interessirt uns hier nicht,
da es sich dabei nicht um Nothstandsverletzungen handelt.
*) tit. D. de lege Rhodia 14, 2.
2) Goldschmid, Ztschrft. f. Handelsrecht, Bd. 35, S. 63 fg.
3) H.=G.=B. Art. 702 fg. Binding, Handbuch, S. 772.
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