Full text: Handbuch der gesamten Handelswissenschaften für ältere und jüngere Kaufleute, sowie für Fabrikanten, Gewerbetreibende, Verkehrsbeamte, Anwälte und Richter (1)

IV. Der Handel der neuesten Zeit. 
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nicht einmal auf die unmoralische Einnahmsquelle des Lotto verzichten. Unter 
den Einnahmen sind die bedeutendsten die Grund- und Häusersteuer, die Steuer von 
Mobiliarvermögen, die sehr lästige Mahlsteuer, die Geschäftstaxen und Stempel, 
die Zölle, Konsumsteuern, Monopole und die Lotterie. Auch die Provinzen und 
Gemeinden, welche in ihrer Verwaltung sehr selbständig sind, fordern erhebliche 
Abgaben. 
Man hat alle denkbaren Arten von Schulden kontrahiert, um Geld in die 
Staatskasse zu bringen, so daß am 1. Januar 1873 die gesamte Staatsschuld 
10060 Millionen Lire Kapital mit 460 Mill. Lire jährlichen Zinsen betrug 
Ende 1874 war sie sogar auf 11250 Millionen gestiegen. Man hat Renten 
und gewöhnliche Anlehen, Anlehen mit langer und daneben solche mit kurzer 
Verfallzeit, mit bloßer Zinszahlung und mit Prämien; daneben auch Papiergeld 
Zwangskurs. Während einerseits der Verkauf von Staatsdomänen und 
mit 
von Kirchengütern viele Millionen in die Staatskasse brachten, droht in neuester 
Zeit durch die notwendig gewordene Übernahme von Privatbahnen eine neue 
drückende Last sich an den Staatshaushalt zu hängen. 
Von den Kolonisationsbestrebungen der europäischen Staaten ward auch 
Italien in neuester Zeit ergriffen. Man richtete die Augen zunächst nach Tunis 
allein hier kam Frankreich den Italienern zuvor. Dann wurde das rote Meer 
ins Auge gefaßt und 1885 ging eine Expedition dahin ab. Es gelang derselben 
zwar, sich in Massauah festzusetzen; aber der Widerstand der einheimischen Be 
völkerung forderte erneuerte Expeditionen und der Erfolg dieses Kolonisations 
versuches ist noch abzuwarten. 
Rußland. Als Katharina II. 1796 starb, hatte sie das Zarenreich um 
10000 Quadratmeilen und um wichtige Handelsplätze vergrößert. Auch im 
19. Jahrhundert währte das Wachstum des Reiches fort. Der Feldzug gegen 
Schweden machte 1809 Finnland vollends zum russischen Besitz; das Herzogtum 
Warschau wurde 1815 dem russischen Reiche einverleibt. Bei seiner Größe 
Natur und Weltlage einer verhältnismäßig friedlichen Entwickelung sicher, konnte 
Rußland seither seine Produktion und seinen Handel mächtig ausdehnen. Schon 
gegen Schluß des 18. Jahrhunderts nahm dieser Handel raschen Aufschwung, 
als England genötigt war, während des amerikanischen Krieges alles Schiffbau 
material aus Rußland zu beziehen. Je mehr die westeuropäischen Länder zu 
volkreichen Industrieländern wurden, um so wichtiger gestaltete sich der Bezug 
von Rohprodukten aus Rußland. Immer massenhafter ward die Ausfuhr von 
Flachs, Hanf, Talg, Waldprodukten, Leinsaat ec. aus den Ostseehäfen, von 
Getreide aus Odessa. Der russische Feldzug Napoleons schädigte zwar die russi 
schen Wirtschaftsinteressen schwer (namentlich die Moskauer Seidenindustrie); 
doch erholte sich das Land allmählich und vermehrte seine Getreideausfuhr in 
den folgenden Friedensjahren. Mit 1821 ward ein System von Prohibitiv 
zöllen eingeführt, mit dessen Hilfe die russische Industrie rasch sich kräftigen und 
ausdehnen konnte — weniger zu Gunsten der Konsumenten als der Produzenten. 
Auch der Schleichhandel kam durch den hohen Zolltarif sehr in Flor. Die allzu 
künstlich emporgetriebene Industrie erwies sich als ungenügend, und man kam 
zu dem ermäßigten Zolltarif von 1850, welcher die Einfuhr auswärtiger Pro 
dukte mehr begünstigte. 
Die Bestrebungen Rußlands nach Vergrößerung seiner politischen Macht 
waren indessen ununterbrochen fortgesetzt worden. Ein Zwist mit Persien 
führte zu dem siegreichen Feldzuge von 1826 und verschaffte Rußland die 
Provinzen Nachitschewan und Eriwan und erschloß ihm ein großes asiatisches 
Handelsgebiet; der Friede zu Adrianopel 1829 verschaffte Rußland eine domi 
nierende Stellung am schwarzen Meer und der unteren Donau. Aufstände 
Polens 1830 und 1846 wurden schonungslos unterdrückt. Der von England
	        
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