IV. Der Handel der neuesten Zeit.
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Maurenregiments ins Gedächtnis zurückruft, wenn man der riesigen Macht ge
denkt, mit welcher Spanien in dem Zeitalter der Entdeckungen sein Szepter über
Westindien, Zentral= und Südamerika und bis zu den Philippinen erstreckte,
wenn man der Kühnheit seiner Konquistadoren und des Reichtums seiner Silber
flotten gedenkt: dann erscheint allerdings der gegenwärtige Zustand des Landes
sehr herabgekommen. Schon von der Vertreibung der gewerbfleißigen und in
telligenten Mauren an datiert dieser Verfall. Das kühne und großartige Raub
system der Konquista verlieh dem Lande zwar blendenden äußeren Glanz, zerstörte
aber die inneren Stützen des Volkslebens. Seit den großen Entdeckungen war
der Sinn des Volkes nicht mehr auf den mühsamen aber sicheren Boden geord
neten Arbeitslebens gestellt; der Spanier wollte nicht mehr arbeiten; er wollte
Edelmann, Beamter, Abenteurer, Soldat, Geistlicher oder — Bedienter werden.
Der städtische Gewerbefleiß kam in Mißachtung; die ländliche Arbeit litt unter
den schlimmen Verhältnissen des Grundbesitzes, der sich zu einem sehr großen
Teile in den Händen der Geistlichkeit und des Adels befand; den geistigen Auf
schwung des Volkes unterdrückte die Inquisition und die Mönchsherrschaft, den
politischen das herrschende System des Absolutismus.
Um so großartiger aber erscheint die innere Tüchtigkeit des Volkes und der
natürliche Reichtum des Landes, wenn man nunmehr nach jahrhundertlangem
Verfalle einen mächtigen Regenerationsprozeß beobachtet, der, wenn auch unter
den schwersten inneren Kämpfen sich vollzieht. Spaniens Volk und Land ist im
sich zu verjüngen. Die Kolonien sind bis auf weniges dahin; aber
Begriffe
mit dem Versiegen ihrer Silberströme ward das Volk wieder auf die schlum
mernden Reichtumsquellen der Heimat aufmerksam. Das Mönchsregiment ist
gestürzt, die Schrecken der Inquisition verschmerzt, der Absolutismus im Prinzip
beseitigt. Ein frischer regsamer Geist ist über das Volk gekommen. Man sucht
die heimischen Mineralschätze wieder auf; die Bodenproduktion steigt fortwährend:
mit dem Fleiße der alten Mauren sucht man sie zu verbessern; Regierung und
Privatunternehmung bemühen sich einhellig, der heimischen Industrie und dem
Verkehrswesen Kapitalien zuzuwenden; mehr und mehr werden auch ausländische
Unternehmer und Kapitalien von den reichen Naturschätzen des Landes angezogen.
Es ist freilich überall erst der Anfang gemacht; aber dieser Anfang ist gut und
reich an Hoffnungen. Wenn Spanien auf dem betretenen Wege fortgeht, wird
es in einigen Jahrzehnten wieder vollberechtigt in die Reihe der europäischen
Kulturstaaten eintreten. Aber eines ist dazu unumgänglich nötig. Spanien muß
auch seine politischen Stürme, sein unheilvolles Parteitreiben endlich überwinden.
Die schroffen Parteigegensätze müssen endlich durch eine starke und doch nicht
absolutistische Regierung, welche über ihnen steht, eingedämmt werden, und die
Parteien selbst müssen lernen, die Wohlfahrt der ganzen Nation über die Partei
interessen zu stellen. Die militärischen Pronunciamentos müssen ein Ende finden
und mit ihnen die Bürgerkriege, die so viel tapferes Blut gekostet, so viel
Dörfer und Fluren verwüstet haben. Wenn dies endlich geschieht, dann wird
Spanien, das von der Natur so reich begünstigt und durch seine geographische
Lage vor Kollisionen mit anderen europäischen Mächten so sehr gesichert ist, das
großartigste Beispiel der Wiederverjüngung eines ganzen Volkes bieten.
Spanische Kolonien. Der größte Teil des ehedem riesenhaften spanischen
Kolonialbesitzes ging im Laufe des Jahrhunderts verloren (Mexiko und Peru
1824); es blieben nur Cuba, Portorico, die Philippinen; einige unbedeutende
Inselgruppen in Australien und kleine Besitzungen in West=Afrika.
Auf Cuba, der reichsten dieser Kolonien, hat der Anbau und die Ausfuhr
des Zuckers außerordentlich zugenommen, in geringerem Maßstabe jener des
Tabaks und des Kaffees. Ein Negeraufstand gefährdete im laufenden Jahr
zehnt den Besitz dieses Kleinods, und sein Verlauf läßt befürchten, daß auch