Full text: Handbuch der gesamten Handelswissenschaften für ältere und jüngere Kaufleute, sowie für Fabrikanten, Gewerbetreibende, Verkehrsbeamte, Anwälte und Richter (1)

IX. Das Versicherungswesen. 
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seinen 
stellung des Schadens. Hierbei kann leicht auch der redlich Versicherte 
Schaden überschätzen. Die Verwaltungen der Versicherungsanstalten sind 
leicht 
geneigt, diese Neigung zur Schadenüberschätzung als Regel anzunehmen. Hat 
der Agent mit dem Beschädigten und mit Sachverständigen den Schaden fest 
gesetzt und der Direktion angezeigt, so kann dieselbe die Abschätzung zu hoch 
finden. Es wird dann um die Höhe des Schadens gefeilscht werden müssen, 
bis der Versicherte sich mit einer geringeren Entschädigung begnügt. In allen 
diesen Fällen ist eine nach beiden Seiten hin wohlmeinende und redliche Thätigkeit 
des Agenten von größtem Werte für die Gesellschaft wie für das Publikum. 
Die Agenten werden aus verschiedenen Ständen gewählt; bei der Seever 
sicherung ist es natürlich, daß sie vorzugsweise aus dem Kaufmannsstande ge 
wählt werden. Die Lebensversicherungsanstalten wählen ihre Agenten häufig 
aus anderen Ständen, aus dem Lehrerstande u. s. w. Es eignen sich übrigens 
noch manche andere Stände ebenfalls zur Übernahme von Versicherungsagenturen. 
2. Die einzelnen Zweige der Versicherung. 
Seeversicherung. Die Seeversicherung ist die älteste Art der Versicherung 
und stammt schon aus den Seestädten des Mittelalters (13. Jahrhdt.), nahm 
aber ihren Aufschwung begreiflicherweise hauptsächlich mit der Ausdehnung des 
Seehandels über den Ozean. Im 16. Jahrhdt. war sie schon allgemein verbreitet. 
Die verschiedenen Elementarereignisse, welche dem Schiffe und der Ladung 
auf der See gefährlich werden können, sind: Stürme, Klippen und Riffe, 
Strömungen, Bänke, treibende Eismassen; auch Zusammenstöße, Schiffsbrand, 
Piraterie; ferner die sog. große Haverei (havarie grosse) und das Verschollen 
gehen von Schiffen sind Gegenstand der Versicherung; endlich auch wenn ein 
Schiff unter Embargo gelegt, d. h. von einer kriegführenden Macht genommen 
ist. Diese verschiedenen Gefahren sind in den einzelnen Meeren und Meeres 
teilen von großer Mannigfaltigkeit, werden aber im allgemeinen durch die Fort 
schritte der nautischen Geographie immer bekannter. Eine schwierige Seite der 
Seeversicherung liegt darin, daß Unvorsichtigkeiten, welche von seiten der Schiffs 
ührer begangen werden, häufig sehr schwer zu beweisen sind, und daß dann der 
Schaden, welcher eigentlich den Schiffsführer treffen sollte, auf die Versicherer 
-. 
fällt. Untüchtigkeit und Überladung der Schiffe, schlechte Versorgung mit Aus 
rüstungsgegenständen aller Art, Unfähigkeit der Schiffskapitäne werden sehr 
häufig den Versicherungsanstalten zur Last gelegt, welche den Reeder und den 
Eigentümer der Ladung manche Vorsichtsmaßregeln vernachlässigen lassen, welche 
sonst nicht vernachlässigt würden. 
Gegenstand der Schiffsversicherung kann nicht nur ein wirklicher Schaden, 
sondern auch entgangener Gewinn aus der Ladung sein. Überversicherung und 
Doppeltversicherung muß streng verhindert werden. 
Die Prämienzahlung richtet sich nach der Versicherungssumme und nach der 
Gefahr; letztere wieder nach der Beschaffenheit des Schiffes (Alter, Bauart ec.), 
nach der zu unternehmenden Fahrt und der Jahreszeit. 
Die Versicherungsgesellschaften selbst verleiten manchmal die Schiffer zu 
manchem, was später einen Schaden verursacht. So gelten die Versicherungs 
bedingungen teilweise als eine direkte Prämie, um aus jedem Unfalle einen 
Totalverlust zu machen. Kommt z. B. ein Schiff auf den Grund und wird 
beschädigt, aber so, daß es bei geschickter Leitung wieder flott wird und repariert 
werden kann, dann hat der Versicherte ein Dritteil des Schadens selbst zu tragen, 
während er bei einem Totalverluste den ganzen Schaden ersetzt erhält. Bei 
dieser Bestimmung kann wohl ein Kapitän ohne unredliche Absicht das Schiff 
seinem Schicksal überlassen, statt sich um die Rettung zu bemühen. Überdies
	        
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