VI. Der Organismus der Volkswirtschaft.
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zolles entbehren zu können, ist leicht zu ersehen. Dieser Zustand ist dann vor
handen, wenn das inländische Gewerbe seine Produkte auf ausländischen Märkten
mit Vorteil absetzen kann.
b) Einfuhrverbote finden sich jetzt nur noch aus polizeilichen Gründen;
so namentlich bei gesundheitsgefährlichen Waren (Vieh bei Viehseuchengefahr)
bei Waffen, Staatsmonopolgegenständen, Spielkarten, Losen, Nachdrucken, ge
wissen Surrogaten u. A.
c) Ausfuhrzölle erscheinen heutzutage als ein beseitigtes Werkzeug der
wirtschaftlichen Politik. Ihre schutzzöllnerische Bedeutung besteht darin, daß sie
im stande sind, gewisse Rohprodukte der inländischen Industrie zu erhalten,
welche sonst etwa in das Ausland gebracht würden (z. B. Ausfuhrzölle auf
Hadern und altes Tauwerk zu Gunsten der inländischen Papierfabrikation).
Einer völlig vergangenen Periode der Volkswirtschaft gehört die Anschauung
an, daß Ausfuhrzölle auch Berechtigung haben, wenn sie, auf wichtige Nah
rungsmittel (namentlich Getreide), gelegt, die Ausfuhr derselben zu Gunsten der
inländischen Konsumenten verringern. Ausfuhrzölle sind meistens aus Ausfuhr
verboten des Mittelalters hervorgegangen, indem die Landesherrn sich durch Er
teilung von Ausfuhrerlaubnis Einnahmen verschafften. So namentlich in Frank
reich und England. Wichtig sind heutzutage die Ausfuhrzölle noch für die
Türkei, für Italien (Salz, Marmor, Schwefel, trockene Früchte, Seide u. A.)
unbedeutend in der Schweiz, Österreich=Ungarn, Rußland; verschwunden aus
Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Ver. Staaten.
Ausfuhrverbote werden nur noch in Kriegsfällen (für Pferde und
Kriegsmaterial) angewandt.
e) Durchfuhrzölle sind mit der heutigen Entwicklung des Welthandels
verschwunden.
4. Die letzten Wirkungen des Schutzzoll= und des Freihandelssystems
äußern sich nicht in der Gegenwart, sondern müssen notwendig in die Zukunft
der ganzen Weltwirtschaft reichen. Es handelt sich ja hierbei nicht etwa bloß
um die Frage, ob die eine oder andere Industrie geschützt werden solle, sondern
um viel wichtigere Dinge. Es handelt sich darum, ob die großen Kulturvölker
eine mehr isolierte oder eine mehr gemeinsame Wirtschaftsentwick
lung nehmen sollen. Wenn die Verfechter des Schutzzollsystems konsequent sein
wollten, so müßten sie nicht allein die inländische Industrie, sondern auch die
inländische Rohproduktion gegen die Konkurrenz des Auslandes schützen, um
zu
nicht bloß einen Zweig, sondern die ganze nationale Produktion selbständig
machen und dem Volke alle Bedingungen seiner dauernden Existenz unab
hängig von anderen Völkern zu schaffen.
Die Wirtschaftspolitik der modernen Staaten.
Allgemeine Aufgabe. Der Staat, welcher die Aufgabe hat, die menschliche
Gesellschaft zur Zivilisation zu führen, muß verschiedenen Zwecken des mensch
lichen Daseins gerecht werden. Deshalb muß er neben anderem auch für den
Wohlstand seines Volkes Sorge tragen. Seit Staaten bestehen, haben sie auch
in der That die Sorge für das Gedeihen des Volkswohlstandes als einen Teil
ihrer Aufgabe betrachtet. In welcher Ausdehnung, in welcher Weise, mit wel
chen Mitteln diese Sorge ausgeübt werden soll: das wird durch die Wirt
schaftspolitik bestimmt. Sie ist eine Anwendung nationalökonomischer Er
fahrungen auf gegebene staatliche Verhältnisse. Sie will Hindernisse entfernen,
Schwierigkeiten heben, welche sich den Bestrebungen der wirtschaftenden Staats
angehörigen entgegenstellen, manchmal auch direkt die Wirtschaftsthätigkeit be
fördern. Um diese Zwecke zu erreichen, sind eine Reihe von Einrichtungen und
Anstalten notwendig. Außern diese Einrichtungen, Anstalten und Verordnungen