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In Nieder=Oesterreich bestand in den frühern Zeiten
das nähmliche Verhältniß, wie in ganz Deutschland; das
Manngericht war allgemein in der Uebung, und wurde auf
die Streitigkeiten in Lehensachen ausgedehnt. Die Lehenher
ren besaßen die Lehengerichtsbarkeit in Streitsachen. Die Ap
pellation ging unmittelbar an den Kaiser, weil Oesterreich
ein Reichsland, eine Provinz des Deutschen Reiches im
strengsten Verstande war. Als aber dem Herzoge die Landes
hoheit und das Privilegium de non evocando vom Kaiser
Fridrich I. im Jahre 1166 ertheilt wurde, mußten selbst.
die auswärtigen Lehenherren, welche in Oesterreich Activ
Lehen hatten, in Streitsachen die Appellation an den Her
zog oder die von ihm bestellte Behörde zulassen. Jnzwischen
übten sie die Lehengerichtsbarkeit in der ersten Instanz in
streitigen und nicht streitigen Sachen vollkommen aus, und
behielten bis zum Anfange des vorletzten Jahrhundertes
größten Theils die alte Form bey, wovon sich mehrere Bey
spiele in dem vorhin Passauischen Lehen-Archive vorfinden k).
Gegenwärtig besitzen die Lehenherren noch hier zu Lande
diese Gerichtsbarkeit in Lehensachen. Das Jurisdictions
Normale vom 23. September 1783 sagt ausdrücklich: „Wenn
„die Sache ein Lehen angeht, welches nicht landesfürstlich
„ist, und daher nicht zur Vertretung des Fiscal=Amtes, und
„folglich nicht unter die Gerichtsbarkeit des Landrechtes ge
„hört, soll dasselbe bey der Lehenstube desjenigen Lehenherrn
„behandelt werden, dessen Herrlichkeit das Lehen unterwor
„fen ist." Nur für den Fall, daß ein Privat=Leheuherr in
f) Der Oesterreichische Lehen=Tractat bestimmt Tit. 196. inhnerendo
dem Herkommen, „daß wenn die Vasallen stößig würden, der
„Stritt vor dem Lehenherrn, er mag geistlich oder weltlich seyn
„ausgetragen werden solle." Auch bestehen mehrere ältere Verord
nungen, wodurch den Lehenherren streng befohlen wurde, „den
Vasallen die justitiam zu administriren." (Siehe §. 93. von den
Verbindlichkeiten der Lehenherren.)