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richtsbarkeit. Dasselbe begreift aber nur das eigent
liche Willenrecht des Lehenherrn in sich, welches er
zu Folge des vorbehaltenen Obereigenthums in jenen Sa
chen, wobey keine Klage und Widerspruch, keine unmittel
bare Entscheidung eines Streites eintritt, ausübet. Allein
dieses Recht war vormahls sehr ausgedehnt und wichtig 2).
Die in dem Lehen=Archive vorhandenen älteren Verhandlun
gen bewähren, daß auch in Nieder=Oesterreich die Lehenher
ren dasselbe nach der überhaupt in Deutschland gewöhnli
chen Form mittelst des judicii parium unter dem Vorsitze ih
rer Lehen=Pröpste ausübten. Die letzteren Beyspiele eines
solchen zusammen berufenen Gerichtes finden sich noch in
den Jahren 1694 und 1710. Derzeit bestehet ein Unterschied
zwischen den Streit= und Eintrachtssachen. Die ersteren ge
hören zu den betreffenden Jnstanzen desjenigen, der belangt
wird; die Eintrachtssachen aber werden von den Lehenher
ren beurtheilet, und in der ersten Instanz entschieden. Doch
siehe am Ende dieses Theiles von der Lehengerichtsbarkeit.
Jndessen kann derselbe fordern, daß der Vasall ihn nicht
umgeht, und seine bezeigte Fahrlässigkeit oder seinen ge
äußerten bösen Willen contemptum dominii directi als einen
Lehenfehler erklären, und in den vorgeschriebenen Wegen gel
tend machen.
II. Verbindlichkeiten der Lehenherren.
§. 93. Pflichten der Lehenherren.
Das Lehenverhältniß ist gegenseitig. Der Vasall ist zur
Lehentreue und Dienstleistung, der Lehenherr zur Ertheilung
desjenigen Schutzes oder der so genannten Schutztreue, ohne
g) Von den Formen der Lehengerichte siehe Joh. Jac. Mascows
diss. de paribus curiae. Hommels obléct. jur. feud. Böhmers
observ. jur. feud. Nro. 11. Senkenbergs primae lineue jur.
feud. §. 437.
Nieder=Oester. Lehenrecht. l. Th.