Vorrede.
XII
urisprudenz ist keine rein philosophische Wissenschaft.
Die Materie derselben ist lediglich empirisch. So
sehr auch ein Gesetz den Anforderungen der Philoso
phie widersprechen mag; es muß befolgt werden, wenn
die gesetzgebende Gewalt es befolgt wissen will. So
hart es auch sey, es heischt Gehorsam. Die Anfor
derungen des Naturrechts, der Billigkeit, der Staats
wissenschaften, der Logik und der Consequenz in der
Gesetzgebung berechtigen niemalen, ein klares Gesetz
ihnen zu Gefallen zu verdrehen. Schon hieraus folgt
die Nothwendigkeit, auch verba legum tenere. Aus
einem andren Grunde wird eben dies noch nöthiger.
Jedwede Auslegung eines Gesetzes, von Menschen ge
macht, ist nicht nur der Moͤglichkeit der Fehlerhaftig
keit unterworfen, sondern es ist auch an sich selbst
sehr schwierig, denselben Satz auf verschiedene Weise
mit Worten dergestalt auszudrücken, das beidemal der
Ausdruck ganz denselben Sinn darstelle, und nicht in
dem einen oder andren minder bedeutenden Merkmale
abweiche. Auf eine Menge von Beziehungen wird
man erst durch die Anwendung auf einzelne Fälle auf
merksam gemacht, welche man fruͤher nicht bemerkt
und also in die eigen gemachte Parodie des Gesetzes
noch nicht mit aufgenommen hatte. Aber nicht der
vom Richter abgezogene subjective Begriff oder Ur
theil, sondern der vom Gesetzgeber ausgesprochene, ist
die Regel, wornach das Recht gesprochen werden soll.
Es ist sonach kaum minder wichtig, die Gesetze nach
der Wortfassung des Gesetzgebers zu kennen, als ih¬