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Der Richter soll keiner Partei besonders anhängen, sondern beiden
gleiches rechtliches Gehör im weitesten Sinne des Wortes, also
auch in Anbetracht der Mittel zur Geltendmachung ihrer Ansprüche
angedeihen lassen und die Glaubwürdigkeit der Angaben der einen Par
tei den der andern gleichhalten. Die Parteien selbst verfolgen im ge
richtlichen Verfahren überhaupt als letzten Zweck: Anerkennung und
Sicherung ihres Rechtes, Wiederherstellung der allenfalls gestörten
Rechtsordnung. Ihr Dispositionsrecht und der darauf ruhende Ver
zicht ist von bedeutendem Einflusse, reicht aber nur so weit, als der
Gegentheil nicht verletzt wird. Bei der Verfolgung ihres Zweckes sind
sie zwar nicht verpflichtet, sich wechselweise in der Erreichung ihres
regelmäßig collidirenden Zieles zu unterstützen und sich im Prozesse
die Beweisführung zu erleichtern; sie sollen aber — obgleich sie sich als
Streitende gegenüberstellen, doch auch nicht das Gegentheil thun; ein
ander keine unnützen Hindernisse bereiten, Verzögerungen veranlassen
oder sonst überhaupt chikaniren!); sie sollen zum Behufe der Errei
chung ihres Zweckes sich keiner schlechten, unredlichen Mittel bedienen,
namentlich nicht wider ihr besseres Wissen unwahre Behauptungen auf
stellen oder den gegnerischen muthwilliger Weise widersprechen, sondern
vielmehr sich über die entscheidenden Umstände und Verhältnisse der
Wahrheit getreu äußern 2); sie sollen sich also der Lüge, des Trugs,
*) Unter Chikane im rechtlichen Verfahren (Calumnia) versteht man
überhaupt den vorsätzlichen Mißbrauch der Rechtspflege oder einzelner
Acte im rechtlichen Verfahren, um entweder unbegründete Ansprüche
geltend zu machen oder rechtmäßige Ansprüche des Gegners zu vereiteln. Als
Mittel dagegen wurde der Gefährdeeid oder Bosheitseid (jur. calumniae s.
malitiae) eingeführt, mittelst welchem die betreffende Person zu versich
hat, daß sie redlich und nach ihrer Ueberzeugung handle. Man unterscheidet
ein jur. calumniae generale u. ein jur. calumniac speciale; während man
mit dem ersten die Ueberzeugung von der Gerechtigkeit der Sache überhaupt
beschwört, beschwört man mit dem andern das Nichtvorhandensein einer Gefährde in
Anbetracht einer einzelnen Proceßhandlung, z. B. der Berufung an den
höheren Richter. Dieses jur. calumniae wurde jedoch bei uns schon vor der
Erlassung der allg. G. O. abgeschafft (Vergl. mein Magazin, 11. Bd., 19. S.)
und hat auch in den neuen Proc. Ordn. f. U. u. S. keinen Eingang ge
funden.
*) Besonders §. 540 der westgal. G. O., dann §. 25 d. Ges. über d. summar.
Verfahren, §§. 46 u. 588 der Proc. O. f. Ungarn u. Siebenbürgen. Vergl. auch
Heyßler: Die wahre Maxime im Civilprocefse. Eine Stimme in der
Wüste in Wagner's Zeitsch. v. J. 1845, II. Bd., S. 262—282 u. S.