Full text: Haimerl, Franz: Darstellung der gesetzlichen Bestimmungen über die Parteien und deren Stellvertreter im civilgerichtlichen Verfahren in Oesterreich

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Der Richter soll keiner Partei besonders anhängen, sondern beiden 
gleiches rechtliches Gehör im weitesten Sinne des Wortes, also 
auch in Anbetracht der Mittel zur Geltendmachung ihrer Ansprüche 
angedeihen lassen und die Glaubwürdigkeit der Angaben der einen Par 
tei den der andern gleichhalten. Die Parteien selbst verfolgen im ge 
richtlichen Verfahren überhaupt als letzten Zweck: Anerkennung und 
Sicherung ihres Rechtes, Wiederherstellung der allenfalls gestörten 
Rechtsordnung. Ihr Dispositionsrecht und der darauf ruhende Ver 
zicht ist von bedeutendem Einflusse, reicht aber nur so weit, als der 
Gegentheil nicht verletzt wird. Bei der Verfolgung ihres Zweckes sind 
sie zwar nicht verpflichtet, sich wechselweise in der Erreichung ihres 
regelmäßig collidirenden Zieles zu unterstützen und sich im Prozesse 
die Beweisführung zu erleichtern; sie sollen aber — obgleich sie sich als 
Streitende gegenüberstellen, doch auch nicht das Gegentheil thun; ein 
ander keine unnützen Hindernisse bereiten, Verzögerungen veranlassen 
oder sonst überhaupt chikaniren!); sie sollen zum Behufe der Errei 
chung ihres Zweckes sich keiner schlechten, unredlichen Mittel bedienen, 
namentlich nicht wider ihr besseres Wissen unwahre Behauptungen auf 
stellen oder den gegnerischen muthwilliger Weise widersprechen, sondern 
vielmehr sich über die entscheidenden Umstände und Verhältnisse der 
Wahrheit getreu äußern 2); sie sollen sich also der Lüge, des Trugs, 
*) Unter Chikane im rechtlichen Verfahren (Calumnia) versteht man 
überhaupt den vorsätzlichen Mißbrauch der Rechtspflege oder einzelner 
Acte im rechtlichen Verfahren, um entweder unbegründete Ansprüche 
geltend zu machen oder rechtmäßige Ansprüche des Gegners zu vereiteln. Als 
Mittel dagegen wurde der Gefährdeeid oder Bosheitseid (jur. calumniae s. 
malitiae) eingeführt, mittelst welchem die betreffende Person zu versich 
hat, daß sie redlich und nach ihrer Ueberzeugung handle. Man unterscheidet 
ein jur. calumniae generale u. ein jur. calumniac speciale; während man 
mit dem ersten die Ueberzeugung von der Gerechtigkeit der Sache überhaupt 
beschwört, beschwört man mit dem andern das Nichtvorhandensein einer Gefährde in 
Anbetracht einer einzelnen Proceßhandlung, z. B. der Berufung an den 
höheren Richter. Dieses jur. calumniae wurde jedoch bei uns schon vor der 
Erlassung der allg. G. O. abgeschafft (Vergl. mein Magazin, 11. Bd., 19. S.) 
und hat auch in den neuen Proc. Ordn. f. U. u. S. keinen Eingang ge 
funden. 
*) Besonders §. 540 der westgal. G. O., dann §. 25 d. Ges. über d. summar. 
Verfahren, §§. 46 u. 588 der Proc. O. f. Ungarn u. Siebenbürgen. Vergl. auch 
Heyßler: Die wahre Maxime im Civilprocefse. Eine Stimme in der 
Wüste in Wagner's Zeitsch. v. J. 1845, II. Bd., S. 262—282 u. S.
	        
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