§ 206. Bürgschaft.
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Bürge mehr und mehr zugleich zu einem Schuldner21
Schon
frühzeitig bei der Verbürgung persönlicher Handlungen, dann aber
auch bei der Verbürgung von Sach- und Geldschulden leistete der
Bürge zugleich mit der Haftungsübernahme ein Schuldversprechen 22
Er versprach dem Gläubiger, dafs er ihm die Leistung des Schuld
ners oder Ersatz dafür verschaffen werde. Verbürgte er sich als
„Selbstschuldner“ oder „Selbstzahler“, so kam schon in der Form
des Gedinges zum Ausdruck, dafs er gleichzeitig Schuldner wurde.
Doch blieb der primäre Inhalt der Bürgschaft stets Haftung und
ihr Schuldinhalt von dem der Hauptschuld verschieden. Auch be
hauptete sich, obschon die alten Formen der Bürgenstellung in
Verfall gerieten 23, immer das dem Bürgen gegen den Schuldner
zustehende Rückgriffsrecht 24.
3. Mit der Rezeption wurde das römische Bürgschafts
recht in der vereinfachten Gestalt, die es im Corpus juris civilis
empfangen hat, aufgenommen. Doch gewann nur die römische
fidejussio, die sich am meisten der deutschen Bürgschaft näherte,
volles Leben. Die fidejussio war akzessorische, aber solidarische
Mitübernahme fremder Schuld durch streng verpflichtenden Formal
vertrag. Im gemeinen Recht wurde sie zum formfreien Schuld
vertrage. Um so weniger konnte sich neben ihr das römische con
stitutum debiti alieni, dessen Formfreiheit keine Besonderheit mehr
bildete, als selbständiges Rechtsinstitut behaupten 25. Das römische
mandatum qualificatum ging als Kreditauftrag seinen eignen Ent
wicklungsweg 26.
Das so in Anlehnung an die fidejussio ausgebildete
gemeinrechtliche Bürgschaftsrecht stimmte in wesentlichen Punkten
mit dem spätmittelalterlichen Bürgschaftsrecht überein. Wo es ab
die Wahl, wen er zuerst ansprechen will, und behalten ihm ausdrücklich das
Recht vor, wenn ihm einer „enpristet“, sich an den anderen zu halten.
21 Doch verschwand die blofse Haftungsübernahme keineswegs. Vgl. die
Unterscheidung in Sachsensp. III 85 § 3—4 u. dazu Schuld u. Haftung S. 105.
22 Vgl. die Nachweisungen in Schuld u. Haftung S. 105—106, 207.
23 Überwiegend hielt man freilich an der Form des Treugelübdes fest.
Aber die Mitwirkung des Schuldners wurde entbehrlich. Und vielfach begegnen
schon im Mittelalter unförmliche Verbürgungen, im Steiermärk. Ldr. a. 125
sogar, während sonst wenigstens ausdrückliche Erklärung verlangt wird, eine
stillschweigende Bürgschaftsübernahme; Schuld und Haftung S. 219—220.
24 Stobbe, Vertragsr. S. 130 ff.; Buch, Übertragbarkeit der Ford. S. 90 ff.
26 In der gemeinrechtlichen Literatur herrschte lebhafter Streit darüber
ob und inwiefern dem constitutum noch eine von der fidejussio verschiedene
Bedeutung zukomme; vgl. Windscheid § 476 Anm. 7, Dernburg, Pand. II
§ 77, 1 (verneinend), R.Ger. X Nr. 50 (ebenfalls verneinend).
26 Vgl. unten zu X.