772 Zweites Kapitel. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften.
zur Befriedigung des Gläubigers oder mindestens nachträglich Er
satz für die eigne Leistung an den Gläubiger zu holen 12
2. Im jüngeren mittelalterlichen Recht traten Ver
änderungen in doppelter Richtung ein14. Einerseits wurde die
Haftung des Schuldners trotz erfolgter Bürgenstellung auch dem
Gläubiger gegenüber wirksam 15. Zunächst nur subsidiär, so dafs
der Gläubiger auf den Schuldner greifen kann, wenn er vom
Bürgen keine Befriedigung erlangt16. Sodann primär, jedoch mit
der Mafsgabe, dafs der Gläubiger, wenn er den Schuldner zuers
angreift, das Zugriffsrecht gegen den Bürgen verliert 17. Weiter
hin kommt die vorbehaltlose solidarische Haftung des Schuldner
neben dem Bürgen auf 18. Endlich wird schon im Mittelalter ohne
ersichtlichen Einflufs des römischen Rechts dem Bürgen eine nur
subsidiäre Haftung auferlegt*9, an deren Stelle aber solidarische
Haftung tritt, wenn er sich zu gesamter Hand mit dem Schuldner
oder als Selbstschuldner verpflichtet hat 2°. Andererseits wurde der
13 Bei den alten Verbürgungsformen überträgt der Gläubiger durch Hin
gabe der vom Schuldner empfangenen Wadia an den Bürgen diesem sein
Pfändungsrecht; vgl. über fränk. R. a. a. O. S. 160 Anm. 55, 296, über langob. R.
S. 288; dazu über burgund. R., das dem Bürgen überdies ein subsidiäres Zu
griffsrecht auf die Person des Schuldners gewährt, S. 176 ff.; über angelsächs. R.
S. 184 Anm. 53.
14 Schuld u. Haftung S. 100 ff., 104 ff.
15 Doch blieb ausschliefsliche Haftung des Bürgen dem Gläubiger gegen
über stets möglich. So nicht nur, wenn der Schuldner überhaupt nicht haftete,
sondern auch, wenn der Gläubiger ihn gegen Bürgenstellung aus der Haftung
entliefs. Dies nimmt noch das Wiener Stadtr. a. 7 stets an, wenn der Gläubiger
den Bürgen „willichleich und fur vol“ annimmt; dann ist der Schuldner von
ihm „ledig“ und bleibt dies nach a. 57 auch, wenn der Bürge gestorben ist.
16 Vgl. Rsb. n. Dist. III 12 d. 7: ob der burge abeginge. Steiermärk. Ldr.
a. 122: sterbent dic purgel, so gevelt es auf den man hinwider.
17 Bened. Levita III 334: wenn er „debitorem suum tenere maluerit“
Schwabensp. (L.) 353 I. Wendisch-Rüg.-Landgebr. Tit. 74 § 7. Andere Belege
Schuld u. Haftung S. 100 Anm. 7.
18 Wurster Landr. VII a. 20 § 1. Nordhäus. Stat. v. 1300 § 189. Wendisch
Rüg.-Ldgebr. Tit. 137 § 14 (über den Widerspruch mit Tit. 74 § 7 Delbrück,
Z. f. D. R. XII 238 ff.). Nord. R. b. v. Amira I 696, II 842.
19 Richtst. Landr. c. 9; Kulm. R. III 117; Billwärd. R. 51; Landshuter R.
b. Rosenthal S. 200 Nr. 6. Vgl. Heusler, Z. f. schweiz. R. IX 79 ff.;
Stobbe, Vertragsr. S. 124 ff., D.P.R. § 238 Anm. 8—9; Schuld u. Haftung
S. 101 Anm. 9. Doch wird oft nicht Vorausklagung, sondern nur vergebliche
Mahnung oder Abwesenheit des Schuldners verlangt.
20 Platner, Bürgschaft S. 46 ff.; Stobbe, Vertragsr. S. 145 ff., 157 ff.
Für den Fall, dafs der Schuldner mit dem Bürgen „gelobt“ hat, lassen auch
das Wiener Stadtr. a. 7 u. 57 und das Steiermärk. Ldr. a. 122 dem Gläubiger