§ 196. Miete und Pacht.
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Zugleich entwickelte sich auch fahrnisrechtliche Miete (z. B. Schiffs
miete)? und Pacht (besonders Viehpacht) 10
Nunmehr wurden die Miets- und Pachtverträge zu
einem eigenartigen Typus der gegenseitigen Schuldverträge. Ihre
Verpflichtungskraft hing gleich der des Kaufes von der Anwendung
einer haftungsrechtlichen Form oder der Leistung seitens eines
Vertragsteiles ab1. Allein ungleich dem Kaufe erzeugten sie für
beide Teile nur eine Gebundenheit für eine beschränkte Zeit, nach
deren Ablauf die gegenseitigen Verpflichtungen erloschen und für
den Mieter oder Pächter eine Verpflichtung zur Rückgewähr ein
trat. Darüber hinaus blieb die einseitige Aufsage der Vertrags
gebundenheit vor der Zeit aus bestimmten Gründen zulässig 12
Und in dieser Hinsicht haftete den Miets- und Pachtverträgen
niedersächs. u. fries. Quellen von huren und verhuren. Das Wort „Pacht“
das ursprünglich nur pactum bedeutet, kommt in Urkunden seit dem 13. Jahrh.
speziell für den Leihevertrag, aber bei Erbleihe und Leihe auf Lebenszeit wie
bei Zeitleihe vor (Haltaus S. 1453 ff.) und wird namentlich für jede Art von
Zins gebraucht (ebd. S. 1455). Seinen technischen Sinn scheint es erst in
nachmittelalterlicher Zeit empfangen zu haben. Echte Pachtverträge, vielleicht
schon unter Einwirkung des römischen Rechts, begegnen seit Ende des
14. Jahrh.; vgl. Immerwahr, Die Kündigung S. 55 ff.
° Vgl. v. Amira I 635 ff., II 769 über Schiffsmiete, I 632, II 766 ff. über
liermiete.
10 Vgl. v. Amira I 630 ff., II 762 ff. Grimm, W. VI 265 § 15.
11 Über das Vorkommen von Handschlag, Draufgabe, Weinkauf, Gottes
pfennig bei Miete und Pacht vgl. Schuld und Haftung S. 339 Anm. 9 u. 10,
369 Anm. 7, 372 Anm. 23, v. Brünneck S. 159. Die Vorleistung seitens eines
Teils, insbesondere also die Hingabe der Sache durch den Vermieter, bewirkt
auch hier beiderseitige Gebundenheit; Schuld u. Haftung S. 84 ff. Darum kann
bei formlosem Abschluss der Vermieter, während er vorher frei zurücktreten
konnte, die einmal hingegebene Sache nur aus den vertragsmässig vorbehaltenen
Gründen zurückfordern, während natürlich auch der Mieter nun nicht mehr
willkürlich zurücktreten kann. In diesem, aber auch nur in diesem Sinne ist
es richtig, wenn v. Brünneck S. 159 ff. die Besitzerlangung als „Perfektions
moment“ bezeichnet. Was er weiter über die Verschiebung des Beweisrechts
durch die Besitzüberlassung beibringt, beruht auf dem Beweisvorzug, den die
Gewere gibt.
12 Nach manchen Rechten kann überhaupt jeder Teil gegen ein Reugeld,
das vor der Besitzüberlassung die halbe, nach ihr die ganze Jahresmiete be
trägt, den Vertrag lösen; so nach Billwärder L.R. a. 74—75, Schleswiger,
Flensburger u. Apenrader Stadtr., vor dem Beziehen des Hauses auch nach
Bremer Stadtr. v. 1433 ord. 44. Nach Hamb. Stadtr. v. 1292 c. XXIX u. 1497
G XVI kann der Vermieter vor wie nach der Überlassung des Besitzes das
Mietsrecht gegen Zahlung des vollen Jahresbetrages der Miete ablösen. Vgl.
v. Brünneck S. 162 ff.