346 Zweites Kapitel. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften.
liche Form zum Erfordernis der Gültigkeit des Vertrages erhoben 89
Vielfach aber wurde von der Beobachtung der Form nur die Er
zwingbarkeit der Schuld abhängig gemacht, so dafs nun eine
ehe
malige beweisrechtliche Form eine ähnliche Rolle übernahm,
wie
sie im alten deutschen Recht die haftungsrechtlichen Formen
spielt hatten. In diesem Sinne entzogen manche Gesetze dem
formlosen Vertrage die Klagbarkeit 30.
Nach diesen Gesetzen ent
steht daher aus einem solchen Vertrage zwar ein Schuldverhältnis
so dafs, wenn der Vertrag vollständig erfüllt ist, der Mangel der
Form keine Wirkungen mehr äufsert°1. Allein eine Klage auf
Erfüllung kann nicht angestellt werden. Abweichend vom alten
deutschen Recht wird bei gegenseitigen Verträgen auch dem, der
seinerseits erfüllt hat, keine Klage auf Erfüllung, sondern nur
eine Klage auf Rückgewähr des Geleisteten gegeben 92. Das
preufsische Landrecht indes gewährt, wenn ein mangels der Schrift
form klagloser gegenseitiger Vertrag von dem einen Teil erfüllt
ist, dem anderen Teil die Wahl zwischen Rückgewähr und Gegen
leistung °3. Andere Gesetze machten von der Beobachtung be
stimmter Formvorschriften nur die Beweisbarkeit des Vertrages
abhängig °4. So kann nach französischem Recht, wenn der Wert
150 Franken übersteigt, der Vertragsschlufs nur durch Urkunden,
nicht durch Zeugen bewiesen werden 95
Mit der Vereinheitlichung des deutschen Rechts wurde
für ganz Deutschland der gemeinrechtliche Grundsatz der Form
freiheit der Schuldverträge, nachdem zuerst das Handelsgesetzbuch
die Handelsgeschäfte von den Formvorschriften des bürgerlichen
89 Oben Bd. I 290; Stobbe-Lehmann § 217 III u. IV.
90 Stobbe-Lehmann § 217 VI; Sch. u. H. S. 386.
Daher kann das Geleistete nicht zurückgefordert werden. Es ist aber
auch anzunehmen, dass Ansprüche aus Mängeln der Erfüllung (z. B. Gewährs
ansprüche) jetzt klageweise geltend gemacht werden können; Eichhorn § 93
Anm. 9, Dernburg, Preufs. P.R. I § 98 Z. 1, Stobbe-Lehmann a. a. 0.
Anm. 2
92 Stobbe-Lehmann a. a. O. Anm. 26.
93 Preufs. L.R. I, 5 § 155 ff.; Dernburg a. a. O. Z. 2. Es entfernt sich
also nicht nur vom deut. R., nach dem der Vorleistende nur den Anspruch
auf Gegenleistung hat, sondern auch vom römischen Recht, das dem Vor
leistenden die Wahl gibt.
94 Stobbe-Lehmann § 217 VII.
9 Code civ. Art. 1341; Zachariae-Crome IV § 758. Für das Gebiet
des deutschen Reichs schon durch die alte Z.Pr.O. aufgehoben; oben Bd. I 290
Anm. 28.