§ 178. Änderung der Schuldverhältnisse.
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IV. Zufall. Wird der Leistungserfolg durch einen Umstand,
hinsichtlich dessen weder dem Schuldner noch dem Gläubiger ein
von ihm zu vertretendes Verschulden zur Last fällt, vereitelt oder
beeinträchtigt, so liegt im Rechtssinne ein Zufall vor 32. Für
Zufall wird der Regel nach nicht gehaftet. Der Schuldner braucht
dem Gläubiger dafür, dafs die Leistung unterbleibt oder nicht ge
hörig erfolgt, keinen Ersatz zu leisten. Der Gläubiger aber, der
nicht empfängt, was er empfangen soll, wird dafür ganz oder zu einem
entsprechenden Teil von der etwaigen Verpflichtung zu einer Gegen
leistung befreit. Das Schuldverhältnis ist also ganz oder teilweise
erledigt; den Nachteil erleidet, wer in seinem Rechte betroffen wird.
Anders jedoch verhält es sich insoweit, als aus einem besonderen
Grunde der eine Teil dem anderen gegenüber die Gefahr trägt
und daher für die nachteiligen Folgen eines Zufalles einstehen mufs 33
Insoweit der Schuldner die Gefahr trägt, wird er durch
unverschuldeten Misserfolg nicht befreit, mufs vielmehr für Nicht
erfüllung oder Mängel der Erfüllung Ersatz leisten oder sonstige
Rechtsnachteile auf sich nehmen 34. Seine Schuld besteht also mit
verändertem Inhalt fort. Der Schuldner kann eine Haftung für
32 Dies auch dann, wenn zwar ein Verschulden eines Teiles oder seines
Vertreters oder Gehilfen vorliegt, dieses aber nicht das nach Gesetz oder Ver
trag erforderliche Mass erreicht. Ebenso dann, wenn das Verschulden eines
Dritten, für das kein Teil haftet, den Misserfolg verursacht hat.
33 Von einer Tragung der Gefahr bei einem Schuldverhältnis kann man
nur sprechen, wenn und soweit durch das Schuldverhältnis eine Abweichung
von der Regel casum sentit dominus begründet wird. Darum liegt z. B. in dem
deutschrechtlichen Satze, dass beim Kaufe die Gefahr bis zur Übergabe den
Verkäufer trifft, keine schuldrechtliche Gefahrzuteilung. Denn bis dahin gehört
die verkaufte Sache zum Vermögen des Verkäufers. Dagegen enthält der
römischrechtliche Satz, dass die Gefahr mit der Perfektion des Kaufes auf den
Käufer übergeht, eine schuldrechtliche Verschiebung der Gefahrtragung. Im
französischen Recht ist der gleiche Rechtssatz keine Besonderheit, da zugleich
das Eigentum übergeht. Nach heutigem deutschen Recht schliefst der Über
gang der Gefahr auf den Käufer dann eine schuldrechtliche Gefahrverschiebung
ein, wenn er entweder infolge einer Übergabe der Sache vor ihrer Übereignung
(z. B. nach B.G.B. § 446) oder infolge der Übergabe einer zu versendenden
Sache an den Spediteur oder Frachtführer vor dem Übergange des Besitzes
(B.G.B. § 447, oben Bd. II 548 Anm. 14) erfolgt. Ähnlich verhält es sich beim
Werkvertrage (Anwendung der Regel casum sentit dominus in B.G.B. § 644
Abs. 1 S. 1 u. 3, Gefahrverschiebung ebda. S. 2 u. Abs. 2, sowie in § 645*). Die
Vorschriften über die Gefahr der Übermittlung von Geld in B.G.B. § 270 beruhen
auf der Natur der Geldschuld als Bringschuld, enthalten aber in der Bestimmung,
dals bei Erhöhung der Gefahr durch Veränderung des Wohnsitzes der Gläubiger
die Gefahr trägt, eine Verschiebung der Gefahr; oben § 176 S. 99 Anm. 154.
34 Z. B. die Entstehung eines Rücktrittsrechtes des Gläubigers.