Erstes Kapitel. Schuldverhältnisse überhaupt.
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Der Schuldner hat bei Erfüllung seiner Verbindlichkeit auch
fremdes Verschulden dann zu vertreten, wenn es in den Be
reich der Erweiterung seiner Wirkungssphäre durch die Kräfte
Anderer fällt. Im älteren deutschen Recht ergab sich dies aus
der allgemeinen Haftung kraft Haus- und Geschäftsherrschaft 18
Mit dem römischen Recht, das eine Haftung für fremdes Ver
schulden grundsätzlich ablehnt, drang die Lehre ein, dafs auch
bei Erfüllung von Schuldverbindlichkeiten nur eignes Verschulden
zu vertreten sei, der Schuldner also für Vertreter und Gehilfen
nur hafte, wenn entweder schön deren Verwendung eine Pflicht
verletzung ist oder dem Schuldner selbst ein Verschulden bei der
Auswahl oder Überwachung zur Last fällt *9. Demgegenüber stellte
sich das französische Recht völlig auf den Boden der germanischen
Rechtsanschauung 2°. Auch in Deutschland aber wurde in neuerer
Zeit das romanistische Dogma mit wachsender Energie bekämpft 21
und hinsichtlich der Schulderfüllung endgültig besiegt. Mehr und
mehr wurde mit der Wiederanerkennung der freien und unmittel
baren Stellvertretung dem Schuldner auch die Verantwortlichkeit
für das rechtsgeschäftliche Verschulden seines Stellvertreters auf
erlegt 22, darüber hinaus aber wenigstens bei manchen Schuldverhält
nissen die Haftung des Schuldners auch für das Verschulden blofser
Gehilfen durchgesetzt 23. Das B.G.B. hat diese Entwicklung zum
Steigerung der Verantwortlichkeit begegnen namentlich zugunsten des Ver
sicherungsnehmers; V.V.G. § 63, 163, 172, 182.
18 Meine Genossenschaftsth. S. 801. Von dieser Haftung, die Rechts
verletzungen aller Art umfaßste, ist bei den unerlaubten Handlungen zu reden
(unten § 213).
19 Vgl. bes. Hasse, Culpa S. 408ff.; Goldschmidt, Z. f. H.R. XVI
289 ff.; v. Wyfs, Haftung für fremde Culpa, 1867; Windscheid § 401 Anm. 5,
§ 410 Anm. 6; Dernburg, Pand. II § 38.
2° Code civ. a. 1384 spricht eine allgemeine Haftung für das Verschulden
von Haus- und Geschäftsangehörigen aus, ist aber, wie a. 1797, 1953 u. 1994
bestätigen, auf die Verletzung von Schuldverpflichtungen anwendbar.
21 Vgl. bes. Puchta, Vorles. zu § 302; Übbelohde, Arch. f. prakt.
Rechtswiss. VII 229 ff.; Z. f. d. g. H.R. VII 199 ff.; Baron, Arch. f. z. Pr. LII
55 ff.; Rang, Die Haftung des Schuldners für Dritte, Bonn 1886; Eck, Jahrb.
f. D. XXXV 306 ff.; Verh. des XVII. Deut. Juristent. I 46 ff., 125 ff., 327 fl., II
80 ff., 284 ff.; Steinbach, Die Grundsätze des heut. R. über den Vermögens
schaden, 1888, S. 36 ff.; Mataja, Das Recht des Schadensersatzes S. 38 ff.,
(2 ff.; Unger, Handeln auf eigne Gefahr, 2. Aufl. S. 53 ff.
22 Meine Genossenschaftsth. S. 801 Anm. 2.
28 Beim Werkvertrage ist die Haftung im Preufs. A.L.R. I, 11 § 930 aus
drücklich bestimmt, aber auch von der gemeinrechtlichen Praxis angenommen
(vgl. die bei Windscheid § 401 Anm. 5 angeführten Entsch., bes. R.Ger.