Erstes Kapitel. Schuldverhältnisse überhaupt.
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Schuldners betroffen waren, galt der Schade als Folge mangelnde
Sorgfalt des Schuldners oder als unverschuldetes Unglück8. Auch
die Berufung auf Zufall befreite bei vielen Schuldverhältnissen den
Schuldner nicht von der Ersatzpflicht; der Grund hierfür aber lag
in der von der Schuldfrage unabhängigen Überwälzung der Gefahr
auf den Schuldner°. Als das römische Recht eindrang, nach dem
der Schuldner grundsätzlich nur für Verschulden haftete, diese
Haftung aber bei den verschiedenen Arten der Schuldverhältnisse
nach Graden des Verschuldens abgestuft war, wurden einzelne
deutschrechtliche Sätze festgehalten *°. Damit stand es im Zu
sammenhange, dafs die Doktrin neben dem Begriff des dolus nicht
blofs die beiden römischen Begriffe der lata culpa und levis culpa
verwandte, sondern als dritten Grad die culpa levissima hinzu
fügte11. Diese Dreiteilung der culpa ging in die älteren Gesetz
bücher über12. In neuerer Zeit aber erfolgte allgemein die Rück
kehr zu dem römischen Schema, so dass nur Vorsatz, grobe Fahr
lässigkeit und Fahrlässigkeit schlechthin unterschieden werden 13
8 L. Wisigoth. V 5 § 3, 5; l. Bajuv. XIV 2; Fries. Landr. II b. Richt
hofen S. 66; Jüt. Low II 114; Rsb. n. D. III 17 d. 17. Dazu c. 2 X de depos.
III 16. Später leitete man aus dem objektiven Tatbestande oft nur eine Ver
mutung gegen oder für Anwendung gehöriger Sorgfalt her. Manche Quellen
lassen den Mitverlust eigner Sachen schlechthin als Entschuldigung gelten,
gestatten aber andernfalls den Beweis der Schuldlosigkeit durch Eid; Augsb,
Stat. Art. 212, revid. Lüb. R. III 3, 1. Andere verlangen auch bei Mitverlust
von eignem Gut noch einen Unschuldseid; Hamb. Stat. v. 1270 XII, 12, Magd.
Fr. II 7 d. 1, Münch. Stadtr. Art. 92. Vielfach wird ausdrücklich als Grund
satz ausgesprochen, daßs man fremde Sachen nicht besser als eigne zu be
wahren braucht. Dagegen verlangt Schwabsp. (L.) c. 201e u. 258a vom Ver
wahrer, dals er die fremde Sache besser als das eigne Gut behüte. — Näheres
b. Stobbe, Vertragsr. S. 217, 219 ff., 248, 257, 259, 291 ff.
9 Vgl. unten zu IV. S. 126.
10 So wurde die Haftung des Verwahrers im Falle unentgeltlicher Auf
bewahrung auf diligentia quam suis ausgedehnt und hierbei an den alten Mass
stab (oben Anm. 8) angeknüpft; Stobbe, Vertragsr. S. 221, 222 Anm. 10, 291.
Ferner wurde in den Fällen, in denen der Schuldner nach deutschem Recht
für Zufall haftete, eine strengere Haftung, als sie dem römischen Recht ent
sprach, festgehalten; Stobbe, Vertragsr. S. 229 ff., 238 ff.
11 Denn eine Haftung für culpa levissima wurde vornehmlich da an
genommen, wo das deutsche Recht für Zufall haften liefs; Stobbe, Vertragsr.
230, 238, D.P.R. § 230 II 1.
12 So in die beiden ersten Württ. Landr. (vgl. Wächter II 384 ff.), das
Solmser Landr., das Bayr. L.R. IV, 1 § 20 und noch das Preufs. A.L.R. I, 3
§ 17 ff., I, 5 § 277 ff.
13 So schon Code civ. a. 1137 mit a. 804; vgl. Crome, Die Grundlehren
des französ. Obligationenrechts § 11 III. Österr. Gb. § 1294—1298 mit § 1324.