Erstes Kapitel. Schuldverhältnisse überhaupt.
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Der Anspruch des Gläubigers geht grundsätzlich auf Ersatz
des vollen Schadens62. Den Mafsstab bildet das verletzte
„Interesse“ des Geschädigten; es soll der Nachteil ausgeglichen
werden, den er infolge des vom Schuldner zu vertretenden Um
standes erlitten hat63. Darum umfafst der Schadensersatz nicht
nur den unmittelbar zerstörten oder entzogenen Vermögenswert,
sondern auch den mittelbar verursachten Vermögensverlust ba
Darüber hinaus erstreckt er sich auf den entgangenen Gewinn, der
nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge oder nach den besonderen
Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vor
Die
kehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte 65
62 Dies war auch nach gemeinem Recht anzunehmen. Ausdrücklich be
Dagegen
stimmte es das H.G.B. Art. 283. Ebenso Sächs. Gb. § 124—125.
stufte das Preufs. A.L.R. I, 2 § 117—118, I 5 § 285—291, I, 6 § 1—15 den Um
fang des zu leistenden Ersatzes kasuistisch ab. Auch der Code civ. Art. 1150
und das Österr. Gb. § 1323—1324 machen Unterschiede. Das Schweiz. O.R. Art. 51
(jetzt 43) kennt überhaupt kein festes Mafs, sondern überläfst die Bestimmung
der Grösse des Schadensersatzes grundsätzlich dem richterlichen Ermessen.
63 In den Fällen, in denen jemand einen Ersatzanspruch hat, weil ein
Geschäft nicht zustande gekommen ist, auf dessen Zustandekommen er ver
traute und vertrauen durfte, besteht der Schade in dem Nachteil, den er in
folge seines irrigen Vertrauens erlitten hat, dem sog. „negativen Interesse“.
Doch kann dieser Schade niemals den Betrag des „positiven Interesses“ über
steigen, das er, wenn das Geschäft zustande gekommen wäre, an dessen Wirk
samkeit gehabt hätte. Denn was er nicht gehabt hätte, wenn sein Vertrauen
nicht getäuscht worden wäre, hat er auch durch die Täuschung seines Ver
trauens nicht eingebüsst. Vgl. B.G.B. § 122, 179, 307, 309. W. Brock, Das
negative Vertragsinteresse, Berlin 1902; Kohler I 557, II 134 ff.
64 Bei Verlust oder Beschädigung einer Sache kommt also nicht bloss,
wie grundsätzlich nach Preufs. A.L.R. I, 2 § 117 (Abweichungen I, 6 § 82—97),
ihr „gemeiner“ Wert, sondern ihr Wert für den Beschädigten (der „aufser
ordentliche Wert") in Betracht. Eine Unterscheidung zwischen „unmittelbarem'
und „mittelbarem“ Schaden (Preufs. A.L.R. I, 6 § 2—3) und eine Einschränkung
der Ersatzpflicht auf den unmittelbaren Schaden, wie sie das Preufs. A.L.R.
a. a. O. § 15 bei geringem Versehen eintreten läfst, findet nicht statt. Auch
kommt nichts darauf an, ob der Schaden voraussehbar war; grundsätzlich ist
auch der nicht voraussehbare Schaden, den das Preussische A.L.R. als „zu
fälligen“ Schaden bezeichnet und nur bei einem Verstofs wider ein Verbots
gesetz dem Schuldigen zur Last legt (I, 6 § 4 u. 16) und für den auch nach
Code civ. Art. 1150 nur bei dolus gehaftet wird, zu ersetzen; vgl. jedoch über
die Modifikation durch § 254 B.G.B. unten Anm. 72.
65 B.G.B. § 252. Ähnlich zum Teil schon nach älterem deutschen Recht
(Hammer a. a. O. S. 76 ff.), sowie nach gemeinem Recht, Code civ. Art. 1149,
H.G.B. Art. 283, Sächs. Gb. § 124—125. Anders das Preufs. A.L.R., das zwar
ebenfalls zu dem „ganzen Interesse“ oder der „vollen Genugtuung“ auch allen
entgangenen Gewinn rechnet (I, 5 § 287, I, 6 § 5—7), allein vollen Ersatz nur