Full text: Deutsches Privatrecht (3)

942 Drittes Kapitel. Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen. 
a. Ihrem Wesen nach ist die Haftung des Tierhalters im 
heutigen Recht Gefährdungshaftung31. Da die Vorstellung 
einer Verantwortlichkeit des Tieres selbst verschwunden ist, kann 
die Verantwortlichkeit des Tierherrn nicht mehr auf den Gedanken 
gegründet werden, dafs er kraft seines Herrschaftsverhältnisses 
für das Tier einzustehen habe. Darum kann er sich auch nicht 
mehr durch noxae datio befreien. Der Rechtsgrund seiner Haftung 
liegt vielmehr darin, dafs er seinerseits den vom Tier angerichteten 
Schaden durch das Halten des Tieres verursacht hat. Dass aber 
die Verursachung ausreicht, um seine Verantwortlichkeit zu be 
gründen, beruht auf der besonderen Gefahr, die mit jeder Tier 
haltung gesetzt ist und nach moderner Anschauung von dem ge 
tragen werden soll, der die Vorteile aus der Tierhaltung geniefst. 
Demgemäfs beschränkt sich auch die den Tierhalter als solchen 
treffende Ersatzpflicht auf solche Schäden, die durch die spezi 
fische Tiergefahr verursacht sind 22. Sie ist aber, da nach dem 
früher Gesagten Verschulden kein Wesensmerkmal der unerlaubten 
Handlung ist, deliktischer Natur. Denn die durch das Tier er 
folgte Schadenzufügung ist eine vom Tierhalter verursachte wider 
rechtliche Privatrechtsverletzung 33 
b. Verantwortlich ist der Tierhalter. Der Begriff des 
Tierhalters ist stark umstritten 34. Er deckt sich nicht mit dem 
Begriff des Tiereigentümers, wohl aber mit dem Begriff des je 
weiligen Tierherrn 35. Tierhalter ist daher, wer das Tier als 
Der Begriff des Tierhalters nach §§ 833, 834 B.G.B., 1905. O. G. Schwarz, 
Die Haftung des Tierhalters aus § 833 B.G.B., 1905. Schmoller, Arch. f. 
ziv. Pr. XCVIII 1 ff. Krückmann, Jahrb. f. D. LII 459 ff., LIV 107 ff. Josef 
b. Gruchot LIII 28 ff. Francke, Tierhalterhaftung, 1911. — Endemann, 
B.R. § 202, 2. Dernburg § 396. Cosack a. a. 0. (oben Anm. 29). Crome 
§ 336. Matthiafs § 143 II. Enneccerus § 466. Komm. zu § 833 f., bes. 
Oertmann, Planck, Staudinger. 
31 Oben § 212 III 3 S. 914 ff. 
2 Unten zu d und über die Geltung dieser Schranke auch für Abs. 2 zu g. 
33 Vgl. oben § 211 S. 882 Anm. 9, S. 885 Anm. 18—19, 
24 Übersicht der verschiedenen Ansichten bei Hagelberg a. a. O. S. 2 ff.; 
hier auch S. 7 ff. eine sorgfältige Zusammenstellung der in den german., röm. 
u. modernen Quellen begegnenden Ausdrücke, mit denen die haftende Person 
bezeichnet wird. 
36 Schon im Sachsensp. II a 62, Schwabensp. c. 244 und anderen mittel 
alterlichen Quellen wird der Herr des Tieres auch als der, der das Tier „hält“ 
bezeichnet. Auch in den neueren Gesetzen überwiegt, wenn die Haftung dem 
der das Tier „hält“, auferlegt wird, offenbar die Vorstellung des Tierherrn (so 
Preufs. A.L.R. § 70, 72, Schweiz. O.R. a. 65). Umgekehrt dürfte oft, wo von
	        
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