§ 214. Haftung für Tiere und leblose Sachen.
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vornherein auf der Annahme eigner schuldhafter Verursachung 13
Aber auch in die reine Tierhaftung begann schon im Mittelalter
der Gedanke einer Schuld des Tierherrn einzudringen 14
Nach der Rezeption konnte das römische Rechtt in
Deutschland um so leichter durchdringen, als es dem deutschen
Recht urverwandt war. Denn neben der aquilischen Klage gegen
den, der eine Beschädigung durch ein Tier schuldhaft verursacht
hat, läfst das römische Recht gegen den Eigentümer eines Schaden
stiftenden Vierfüsslers die aus alter Zeit stammende actio de
pauperie zu, die aus der Vorstellung einer Schuld des Tieres ent
sprungen ist *6. Sie geht auf Leistung von Schadensersatz oder
Hingabe des Tieres zur noxa"’, setzt aber eine Schadenszufügung
voraus, die das Tier gegen die Art und Weise seiner Gattung
(aus besonderer Bosheit oder unnatürlicher Erregung) vorgenommen
hat18. Ein Verschulden des Eigentümers fordert sie nicht. Doch
neigte man im gemeinen Recht dazu, die Haftung des Eigentümers
aus einer Verschuldensvermutung zu erklären 19.
In den deutschen Partikularrechten erhielt sich zum
12 Sachsensp. II, 62 § 1; zahlreiche weitere Belege b. Hammer a. a. 0.
S. 95 ff., Stobbe-Lehmann Anm. 21—22.
13 Das Halten solcher Tiere gilt von vornherein als unerlaubt; Gl. zu
Sachsensp. II, 62. Bei bösartigen Haustieren aber (nicht bei wilden Tieren)
kann er sich durch den Nachweis, dass er die böse Eigenschaft nicht kannte.
von der unbedingten Haftung befreien und behält dann das Preisgaberecht
Hammer S. 96.
14 Über die Entwicklung eigener Schuld des Herrn aus seiner Haftung
für das schuldende Tier vgl. Schuld u. Haftung S. 103—104.
15 Vgl. Windscheid-Kipp § 457, 3 und die dort in Anm. 6 angef.
umfangreiche Literatur; Dernburg, Pand. § 133; Isay a. a. O. S. 282 ff.
16 Dig. 9, 1; Inst. 4, 9. Die Juristen der Kaiserzeit lehnten freilich diese
Vorstellung ab; vgl. Ulp. l. 3 D. h. t.: Pauperies est damnum sine injuria
datum; nec enim potest animal injuriam fecisse, quod sensu caret. Allein in
der ganzen Struktur dieser in das römische System schlecht passenden Klage
wirkt die primitive Vorstellung nach. — Eine ähnliche noxale actio de pastu
wird gegeben, wenn ein Tier fremde Früchte abfrifst.
17 Beklagter ist der Eigentümer des Tieres zur Zeit der Klageerhebung:
noxa caput sequitur; l. 1 § 12 D. h. t. Durch den Tod des Tieres erlischt die
Klage (l. 1 § 13 D. h. t.), aber nicht, wenn die Klage schon erhoben ist; Seuff.
XLVII Nr. 274. — Vgl. auch R.Ger. XX Nr. 44 u. Nr. 46.
18 L. 1 § 4 u. 7 D. h. t. Die aus der Glosse zu § 7 stammende Formu
lierung „contra naturam sui generis“ ist übrigens sehr anfechtbar; vgl. Seuff.
XLVIII Nr. 33.
19 Vgl. Isay a. a. O. S. 288 ff. u. über Anhaltspunkte in den röm. Quellen
S. 287 ff.