Dinglichkeitsbegriff.
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das Vorhandensein eines Anderen, ohne den Willen eines Ver
pflichteten zu bethätigen vermag, mit anderen Worten „in der Be
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fugniß, selbsthandelnd auf das Objekt des Rechts einzuwirker
dann müßte konsequent der ausschließliche Inhalt der Servituten,
überhaupt der dinglichen Rechte Ausübung einer realen Herrschaft,
d. h. ein Gebrauch der belasteten Sache sein, dann mußten Ding
lichkeit und Besitzmöglichkeit sich decken. Wie das Eigenthum den
vollständigen Besitz zum thatsächlichen Abbild hat,2) so müßte jedem
dinglichen Rechte ein solches Abbild entsprechen, und ein dingliches
Recht da an sich nicht gegeben sein, wo das Recht sich in einem
Besitzstand nicht verkörpern kann.3
Hält man hieran fest, dann wäre eine Servitut als dingliches
Recht lediglich mit dem Inhalt möglich, daß der Eigenthümer der
dienenden Sache sich eine gewisse Benutzung der Sache gefallen lassen
muß (servitus in patiendo); denn insoweit liegt für den Berechtigten
*) Sohm in Grünhut's Zeitschrift Bd. 5 S. 26 ff.
2) Windscheid I. §. 149 Note 5.
3) Der Entwurf hat im §. 789 den Satz aufgestellt, daß Besitzmöglichkeit
und Eigenthumsmöglichkeit sich decken; auffallender Weise ist aber der Satz nicht
dahin ausgesprochen, daß Eigenthum an der Sache soweit möglich ist, als voll
ständiger Besitz denkbar ist, sondern umgekehrt der Begriff des Eigenthums ist
das Proteron, wird als gegeben vorausgesetzt, und Besitzmöglichkeit, d. h. In
habung mit Besitzwille nur insoweit anerkannt, als Eigenthumsmöglichkeit vor
liegt. Das erscheint mir nicht recht logisch. Die Fixirung des Umfanges der Eigen
thumsmöglichkeit ist Sache positiver Gesetzgebung. Die Inhabungsmöglichkeit ist
ein Begriff des natürlichen Lebens. Nicht der Besitz, sondern das Eigenthum ist
ein durch Abstraktion gefundener Begriff, ein Institut des positiven Rechts. (Dernburg
I. §. 181.) Deshalb muß aus dem natürlichen Begriffe der abstrakte, nicht umgekehrt aus
dem abstrakten Eigenthum der reale Besitz konstruirt und bestimmt werden. Das ist
in der neuesten Abhandlung über den Besitz verkannt (Stinzing: Der Besitz, I.
München 1889). Wenn dort die römische Besitzlehre aus dem dinglichen Recht
onstruirt, in dem Besitzkorpus das thatsächliche Abbild einer servitus non faciendi,
mit anderen Worten die negative Seite des Eigenthums erblickt (S. 64 Note 2)
und der Besitz definirt wird als die bezweckte Befriedigtheit eines negativen ding
lichen Anspruchs (S. 149) (!), so fragt man mit Recht, was wohl für die Klar
stellung der römischen Besitzlehre damit gewonnen ist, wenn der Besitzbegriff auf
den negativ dinglichen Anspruch abgestellt ist. „Da auch jeder auf ein facere ge
richteten Obligation eine Obligatio non faciendi entspricht", so sieht Stinzing
sich zu der „ketzerischen" Behauptung gedrängt (S. 17 Note 1), daß jeder Gläu
biger naturalis possessor, und zwar derjenigen Quote des schuldnerischen Ver
mögens ist, welche dem Werth seiner Forderung entspricht. Hätte das nicht schon
allein an der Richtigkeit seiner Konstruktion stutzig machen müssen?