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Ksenbrüggen,
der Mord vor Augen. Mord ist seinem Buchftabensinn nach nur
Tödtung; man mußte aber einen Unterschied in der Würdigung
der Tödtungen machen, und Mord wurde verwendet als Bezeich-
nung der erschwerten Tödtung; man dachte zum Wortlaut ein er-
schwerendes Moment hinzu und gewöhnte sich, Mord als schänd-
liche Tödtung zu nehmen, speziell als Tödtung, verbunden mit
Heimlichkeit oder Treubruch, dann auch als Tödtung mit Vorbedacht.
In Deutschland kam die letztere Betonung zur Herrschaft, wie
auch der Charakter des englischen rnurdcr in der Formel „with
(of) malice aforethougt“ ausgedrückt wird, während das franzö-
sische rneurtre nur die absichtliche Tödtung (homicide commis
volontairement) ist, dagegen assassinat dem deutschen Mord ent-
spricht. Von der bloß sprachlichen Seite hat der deutsche und
englische Gebrauch keine größere Berechtigung als der französische.
Die Notnumft (Notnunft) hat eine ähnliche Phänomenologie
wie Mord. Sie ist dem Buchstaben nach „gewaltsames Nehmen",
so daß in dem Worte nur das Handeln, nicht das Object des Han-
delns angegeben ist. Daher steht es in. der lex Fris. VIII für
Raub, „rem quamlibet vi rapere“, wie auch das friesische Ned-
mond (Nedmund, Zwangshand) mehr umfaßt als unser Noth-
zucht. Allgemein kam man aber dazu, beim Gebrauche des Wortes
Notnunft das Object zu suppliren und sogleich an Gewalttat an
Frauen zu denken. Wilda erinnert hiebei an die Züchtigkeit,
womit die germanischen Rechtsquellen sich auszudrücken pflegen«).
Das mhd. Notzog — Ziehen oder Fortreißen zu Not d. i.
Gewaltsamkeit, drückt auch das Object nicht aus, und wir lesen im
Freidank 141: „die Frosche Welten einen voget, der si vil dicke
notzoget", aber wenn das Verbum notzegen in den Rechtsquellen
gebraucht wurde, steht in der Regel Frau oder Jungfrau dabei
und der Begriff ist vollständig ausgedrückt. Für notzegen finden
wir bisweilen das sehr verwandte notzerren (Kuprecbt von
Freiing I, 113. Jglau §. 55. Brünn 21. 41. 42); österrei-
chische Rechte haben auch „Notnußen" und „Notnutz" (Kal-
tenbaeck Pan- und Bergtaidingbücher II, 24 a. E. III, 9.
*) Sehr unwahrscheinlich ist die Annahme Zöpfl's (Alterth. I, 67. 292),
daß Notnunft in den deutschrechtlichen Quellen des 13. und 14. Jahrh.
in jenem weiteren Sinne zu nehmen sei, wonach denn für unzählige Stellen,
welche Notnunft mit Notzucht identificiren, ein Mißverständniß herauskäme.