Full text: Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Bd. 1 (1862))

Altdeutsches und neudeutsches Strafrecht.

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I. Die Nothzucht.
§. 1. Es ist eine sehr gewöhnliche Erscheinung, daß Wort
und Begriff insofern sich nicht decken, als das, erstere nach seinem
Buchstabengehalt über den Begriff, für den es verwendet wird, hin-
ausragt und nicht selten das charakteristische Merkmal des Begriffs
gar nicht ausdrückt. Das gilt nicht bloß für die Rechtssprache,
ist aber bei dem nothwendigen Streben der Juristen, mit scharf-
begrenzten Begriffen zu arbeiten, hier besonders zu beachten.
Die meisten Menschen denken bei dem Gebrauch der Wörter:
Ehe, Hochzeit, Wette, Gant nicht daran, daß-hier der Sprach-
gebrauch eine Reduction vorgenommen hat, der Jurist, wie der
Sprachforscher darf dieses aber nicht unbeachtet laßen 2 * 4 * 6) und hat
auch auf die ländlichen Verschiedenheiten in dieser Beziehung zu
merken. So wird Gant (von in quantum) in der Schweiz
nicht bloß für den gerichtlichen Verkauf an den Meistbietenden oder
den Verkauf aus dem Concurse, sondern für Auction überhaupt ge-
braucht, und die alte Bedeutung von Ehe hat sich hier in gewitzen
Zusammensetzungen noch erhalten2). Ebenfalls ist das zwar nicht
ausschließlich der Rechtssprache aber doch auch dieser angehörige
„höhnen" und „verhöhnen" hier noch bis zur neuen Zeit in
dem älteren weiteren Sinne für „schädigen" und „verderben" ge-
braucht^). Eine merkwürdige Reduction und Metamorphose zeigte
sich früher im Gebrauch des Worts „leisten" und „Leistung",
indem es besonders verwendet wurde für die Leistung des Bürgen,
für das Einlager und für die Eingrenzung und Verweisung2),
während man jetzt allgemein nur von der weiteren ursprünglichen
Bedeutung, wenn auch mit kleinen Nuancen Gebrauch macht, aber
in Bern noch an der Bedeutung, die das Wort „leisten" lange
in der Rechtssprache gehabt hat, festhält.
Eine bekannte Verengerung des Begriffs durch Ansetzen eines
im Buchstaben des Worts nicht enthaltenen Moments führt uns

*) Grimm R. A. 417. 418. 601. 618. 621.
8) Stalder, schweiz. Idiotikon I, 334.
4) Stalder II, 50. Grimm R. A. 622.
s) Grimm R. A. 602. Auer, Glossar zum Stadtrecht von München
8. v. Laistung. Augsburg 1276 S. 110. Berner Gerichtssatzung 1614 1,14,
6 ff. Bergl. mein alam. Strafrecht S. 101.

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