Paul Oertmann. Civilistische Rundschau.
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Daß sich auch die Theologen wieder mit sozialphilosophischen Problemen
zu beschäftigen beginnen, ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, und so begrüßen
wir denn Walter's Studie über das Eigenthum nach der Thomistischen und
sozialistischen Lehre mit besonderer Genugthuung. Sie ist gewandt geschrieben
und auf eingehenden Studien aufgebaut, so daß sie des ihr von der Münchener
kath.-theologischen Fakultät verliehenen Preises wohl würdig erscheint.
Es möchte freilich sein, daß Walter in den — verzeihlichen — Fehler
verfallen wäre, die Bedeutung des Helden seiner Darstellung für die Kritik des
Sozialismus zu überschätzen; meint er doch, daß „in diesem Arsenale (d. h. in
dein Lehrgebäude des Thomas) die Waffen bereit liegen, die den Feind der ge-
sellschaftlichen Ordnung niederstrecken, den Schwankenden und Zweifelnden aber
schirmen sollen", S. 4, während er andererseits zugeben muß, daß von einer
allseitig ausgebildeten Lehre bei Thomas keine Rede sein kann, S. 6. Aber
auch die meist nur gelegentlichen Bemerkungen, die Vfr. mittheilt, beweisen nicht
immer das, was er daraus herauslesen will, so S. 45 fg. über die Produktions-
faktoren: Thomas hat sich kaum und konnte sich vom Standpunkt seiner Zeit
aus auch schwerlich hier zur Klarheit moderner Fragestellung emporheben.
Auch im zweiten Thril — die sozialistische Lehre — findet sich manches
Werthvolle und Zutreffende, cf. z. B. S. 191. Aber schwerlich wird man alles
unterschreiben können; vor allem operirt Walter viel zu sehr mit einem un-
wandelbaren Naturrecht, durch das er die sozialistische Lehre zu widerlegen
trachtet, cf. S. 1, 18, 165 — als ob man mit solchen unbewiesenen und unbe-
weisbaren Axiomen der tiefen geschichtsphilosophischen Auffassung eines Marx
— tief auch für den Gegner, wie noch neulich Stammler überzeugend er-
wiesen hat — beikommen könnte.
Wenn man nach Kohler's Vorgang die vergleichende Rechtswissenschaft
zur Rechtsphilosophie zieht, so ist an dieser Stelle auf Dargun's letzte, be-
deutende Schrift hinzuweisen, in der dieser der Wissenschaft viel zu früh ent-
rissene Forscher wiederholt die jetzt so viel angefochtene Lehre vom Mutterrecht
geschickt und erfolgreich vertheidigt hat?) Es giebt nach Dargun's Zugeständniß
freilich rohe Völker, die weder Mutterrecht haben, noch anscheinend jemals be-
sessen haben; vermuthlich handelt es sich hier um Ueberreste einer noch früheren
Entwicklungsstufe. Von ihnen abgesehen aber sieht Vfr. im Mutterrecht nach
wie vor eine allgemeine Erscheinung, für die es an ausreichender innerer Be-
gründung nicht fehlt, S. 49, 66: Bewußtsein der Gemeinsamkeit des mütter-
lichen Blutes im Verein mit der gleichzeitigen Unsicherheit der physischen Vater-
schaft. Andrerseits wirken manche Momente dem Mutterrecht entgegen, sodaß
es öfters zu Mischverhältnissen kommt, S. 68. Aber stets bleibt das Mutter-
b) Franz Walter, Das Eigenthum nach der Lehre des hl. Thomas von
Aquino und der Sozialismus. Gekrönte Preisschrift. Freiburg, Herder 1895.
Vm und 227 S. Pr. M. 2,40.
4) Pros. Dr. L. v. Dargun, Mutterrecht und Vaterrecht. I. Hälfte. Die
Grundlagen. Leipzig, Duncker & Humblot 1892. XI und 155 S. Pr. M. 4.