8.
Civilistische Rundschau
Von Paul Oertmann
5.
Civilistische Rundschau.
Von Paul Oertmann.
I. Rechtsphilosophie und Allgemeine Rechtslehre.
Dahn's Rektoratsrede*) befaßt sich in gemeinverständlicher Darstellung
mit dem Begriffe des Rechtes und seinem Verhältniß zu Moral und Religion.
Recht ist ihm „die vernunftgeforderte Friedensordnung einer Menschengenossen:
schuft in ihren äußeren Beziehungen zu den Menschen und zu den Sachen";
während es die Moral zwar nicht allein, aber überwiegend mit den Gesinnungen
und Triebfedern zu thun hat. Ein Naturrecht existirt nicht — „nur die Idee und
der Trieb des Rechtes sind gemein menschlich, aber die Färbung, die Gestaltung
des Rechts ist wechselnd, ist bedingt durch den Volkscharakter und die Volksge-
schichte".
In viel weitergreifender Weise geht auf diese und verwandte Begriffe
neuestens Stammler in seinem großen Werke über „Wirthschaft und Recht"
ein, auf das ich in der nächsten Rundschau zurückzukommen gedenke.
Eine kleine, interessante Studie G. Meyer's erörtert nicht, wie man nach
dem Titel meinen könnte/) die Frage nach der Rückwirkung der Gesetze, sondern
die allgemeinere, inwieweit bestehende Rechte überhaupt dem Eingriffe der Ge-
setzgebung unterstehen. Vfr. erkennt ihre Unverletzlichkeit nicht als unbedingten
Grundsatz an, läßt vielmehr Eingriffe darin durch „höhere Rücksichten des Ge-
meinwohles" zulässig werden, ja im Interesse des Rechtsfortschrittes bisweilen
für unumgänglich erscheinen, S. 15, 43. Dieser Grundsatz gilt sowohl im
Privatrecht (Enteignung), wie noch mehr im öffentlichen — nur ist überall,
wo solche Rechte Vermögenswerth haben, eine entsprechende Entschädigung zu
zahlen. — Den Begriff des „erworbenen Rechtes" identifzirt Vfr. mit dem des
subjektiven Rechtes überhaupt, S. 13.
*) Felix Dahn, Ueber den Begriff des Rechts. Breslauer Rektoratsrede
vom 15. Oktober 1895. Ein Beitrag zur Rechtsphilosophie. Leipzig, Breit-
kopf & Härtel 1895. 18 S. Pr. 75 Pf.
2) Prof. JDr. Georg Meyer, Der Staat und die erworbenen Rechte
(Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen, herausgeg. v. Meyer u. Jellinek 1,
Leipzig, Duncker & Humblot 1895. 44 S. Pr. M. 1,20.