Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 19 (1901))

Eheliche Nutznießung im B.G.B.

327

nicht die, daß sie die Brücke mit der Vergangenheit abbräche und das
Recht der Vergangenheit seine Bedeutung verlöre. Das Recht der
Vergangenheit ist die Grundlage des Rechtes der Gegenwart, die Kodi-
fikation ist nur ein Glied in der Kette der Entwickelungsgeschichte des
Rechtes und nur das Recht der Vergangenheit eröffnet uns das volle
Verständniß für das Recht der Gegenwart. Das Bürgerliche Gesetz-
buch hat anerkanntermaßen seinem ehelichen Güterrecht das alte Recht
der Gütereinheit zu Grunde gelegt und speziell ans preußische Allgemeine
Landrecht und das sächsische Gesetzbuch sich angeschlossen?^) Das
muß aber in erster Linie für unsere Frage maßgebend sein, nicht die
gleichgiltige Ansicht einzelner Kourmissionsmitglieder. Demgemäß
müssen abweichende Ansichten, selbst wenn die zweite Kommission in
ihrer Gesammtheit eine andere Auffassung in dieser Frage gehabt hätte,
weil man sich der geschichtlichen Entwickelung nicht klar bewußt war
oder ihr zu wenig Beachtung schenkte, zurücktreten. Das Prinzip des
Sachsenspiegels aber war die Gewere zu rechter Vormundschaft. Sie
giebt dem Manne nicht bloß eine familieurechtliche Gewalt, kraft
deren er das Fraueugut verwaltet und nutzt, sondern dieses vor-
mundschaftliche Recht, insbesondere die Nutznießung ist zugleich dinglich
gestaltet.
Auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch steht dem Mann eine
familienrechtliche Gewalt zu, kraft deren das Frauengut seinem Recht
in der Weise unterliegt, daß er es, unbeschadet der Substanz, für die
Zwecke der Ehe verwaltet und verwerthet. Mit Recht bezeichnet
Cosack^) den Mann als Vormund der Frau im Sinne des mittel-
alterlichen Rechtes, wie sich aus § 1354 und 1358 B.G.B. ergiebt.
Die Frau ist dem Willen des Mannes untergeordnet, sie kann nicht
wider den Willen des Mannes über ihre Person verfügen, und der
Mann als Haupt der Familie trifft in allen ehelichen Angelegenheiten
die Entscheidung. Freilich enthält diese Vormundschaft nicht mehr
die Machtfülle des alten Rechtes, wie schon § 1358 zeigt; der Mann
hat hier nur eventuell ein Kündigungsrecht, wenn die Frau ohne
seine Genehmigung ein persönliches Dienstverhältuiß eingegangen ist.
Aber darum hat sie den Charakter des vormundschaftlichen Rechtes
des Mittelalters noch nicht eingebüßt. Ebenso gilt der Satz: Frauen-
,m) Vgl. Denkschrift S. 273, 280.
“*) Gerber-Cosack, 17. Auch, S. 453. Cosack, Lehrbuch II 2 S. 429.

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer