§ 561 Abs. 2 BGB.
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Das zweite Begriffsmerkmal finden jene Definitionen darin, daß
der Berechtigte „nach dem obwaltenden Verpflichtungsgrunde" bezw.
„nach der Natur des betr. Rechtsverhältnifses" nicht in der Lage ist,
die einzelnen Gegenstände zu bezeichnen.
Auch hier ist nicht ohne weiteres verständlich, was mit dem „ob-
waltenden Verpflichtungsgrunde" bezw. „der Natur des betr. Rechtsver-
hältnisses", in welchen die Unfähigkeit des Berechtigten zur Bezeichnung
der einzelnen Sachen seinen Grund finden muß, gemeint ist. Wenn
wir recht sehen, so ist es auch hier nicht das abstrakte Rechtsverhältnis,
worauf es ankommt, sondern der konkrete Tatbestand, genauer: die tat-
sächliche Lage (vgl. Schollmeyer a.a.O.), wie sie in dem den
Anspruch begründenden Tatbestände in die Erscheinung tritt. Also nur,
wenn der Tatbestand, aus welchem die Pflicht zur Herausgabe der
mehreren Sachen entspringt, keine derartigen tatsächlichen Beziehungen
des Berechtigten zu den Sachen enthält, welche diesem die Kenntnis
der einzelnen Sachen vermitteln, kann von einem Sachinbegriffe im
Sinne des § 260 BGB. die Rede sein?)
Als Beispiel kann dienen der Fall des Kaufvertrages, der über
ein Warenlager abgeschlossen ist, ohne daß die einzelnen Waren benannt
sind, und der Fall des Auftrages. Der allen einzelnen Herausgabe-
ansprüchen, welche aus diesen Rechtsverhältnissen erwachsen, gemein-
schaftliche tatsächliche Entstehungsgrund ist im ersteren Falle: die auf
den Abschluß des Kaufvertrages über das Warenlager gerichteten Willens-
erklärungen der Parteien, im letzteren Falle: der durch die Geschäfts-
besorgung bedingte Besitzerwerb des Beauftragten an den herauszu-
gebenden Sachen. In beiden Fällen enthält der Tatbestand nicht der-
artige tatsächliche Beziehungen des Berechtigten zu den seinem Anspruch
*) Aus obigen Ausführungen ergibt sich, daß der Inbegriff des 8 260 BGB.
nach der Auslegung, welche dieser Begriff in Wissenschaft und Rechtsprechung
gefunden hat, etwas anderes bedeutet als der Inbegriff des allgemeinen Sprach-
gebrauchs. Nach diesem ist ein Inbegriff jede Kollektivbezeichnung, insofern sie
nämlich alle diejenigen Gegenstände „in sich begreift", welche ein bestimmtes in
der Bezeichnung ausgedrücktes Merkmal gemein haben. Ob eine solche Abweichung
des Gesetzes vom allgemeinen Sprachgebrauch sich empfiehlt, erscheint zweifel-
haft. Einfacher und klarer wäre es gewesen, wenn jene Merkmale, welche von
Wissenschaft und Rechtsprechung für den Inbegriff im Sinne des 8 260 BGB.
künstlich aufgestellt sind, ausdrücklich als Voraussetzungen des im 8 260 ge-
währten Anspruchs normiert wären.