Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 29 (1906))

12. Zum Pflichtteilsrecht

10.

Zum pflichtteilsrecht.
Von Ernst Zitelmann in Bonn.
Ein Pflichtteilsberechtigter, dem in einem Testament ein den Pflicht-
teil nicht deckendes Vermächtnis ausgesetzt ist, erhebt Klage auf den
Pflichtteil und zwar auf den ganzen Pflichtteil; in seiner Klage gibt
er an, daß er die zu seinen Gunsten getroffene Verfügung überhaupt
nicht als Vermächtnis, sondern nur als Bestätigung eines ihnl schon
unter Lebenden zustehenden Anspruchs auffasse, und daß er sich deshalb
über Annahme oder Ausschlagung dieses angeblichen Vermächtnisses
weder bisher erklärt habe noch jetzt erklären wolle. In Wahrheit liegt
indes ein Vermächtnis vor. Der Erbe hinwiederum hat nicht, wie er
es nach BGB. § 2307 Abs. 2 hätte tun können, den Vermächtnis-
nehmer zu einer Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses ge-
drängt, offenbar weil ihm die Annahme des Vermächtnisses erwünscht
war und er dem Bedachten die Möglichkeit, das Vermächtnis anzu-
nehmen, immer noch offen lassen wollte. In der mündlichen Verhandlung
ist der Beklagte ausgeblieben. Bei dieser Sachlage — die im wesent-
lichen einem neulich wirklich vorgekommenen Falle entspricht — ergeben
sich einige der Erörterung werte Rechtsfragen.
1. Von vorentscheidender Wichtigkeit ist, wie die Sachlage in bezug
auf die Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses aufgefaßt
werden muß. Ist diese Entscheidung wirklich noch in der Schwebe,
oder hat nicht der Vermächtnisnehmer dadurch, daß er den ganzen
Pflichtteil beansprucht hat, stillschweigend das Vermächtnis ausgeschlagen?
Die Frage ist öfter erörtert, doch bedürfen die gewöhnlich aufgestellten
Grundsätze einer Erweiterung. 8 2307 Abs. 1 BGB. lautet: „Ist ein
Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnisse bedacht, so kann er den
Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Schlägt
er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, so-
Archiv für bürgerliches Recht. XXIX. Band. 11

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