Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 39 (1913))

Theorie der Rechts quellen.

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body of men, seems powerless to constrain another court to
take the same view in a similar case" (Hollau d, Jurispru-
dence, S. 56).
Der Unterschied zwischen dem englisch^amerikanischeu und
dem kontinentalen System besteht in dieser Beziehung darin, daß
bei uns der Präeedenzfall an sich nur eine i n st r n k l i v e Be
deutung hat, während ihm in England eine a n ! o r i t a l i v e
Wirkung zugeschrieben wird. Dies ist die Grundlage des sog.
6380 law.
Die ziemlich verbreitete kontinentale Kritik und Ansicht
über dieses hochwichtige Institut des anglo-amerikanischen Rechts
bedarf einer Berichtigung. Wenn nämlich häufig betont lvird,
der sog. Präjudiziencultus führe in England notwendigerweise
zu einem Erstarren des Richterrechts,57) so kann sich dies
höchstens auf einzelne Erscheinungen oder auf eine verfehlte
Praxis beziehen, keineswegs aber auf die Th e o ri e, auf die
Methode selbst.
Die Theorie des englischen oa86 law geht bereits ab ovo
davon aus, daß das System des 6386 law ebenso, Wie das des
Gesetzesrechts, notwendigerweise Lücken hat. Daraus folgt der
wichtige und durch die englische Doktrin stets durchgeführte
Unterschied zwischen rechtsentwickelnden und deklara-
tiven Richtersprüche (Creative and declarative precedents).58)
Die deklarativen Entscheidungen sind Wiederholungen, oder rich-
tiger: neue Anwendungen bestehender und bereits ausgesproche-
ner Rechtssätze, während die kreativen stets neue Rechtsregeln
durchsetzen. Eigentlich enthält — so wird dies durch die Literatur
ausgeführt — eine jede Entscheidung sowohl „kreative", wie
„deklarative" Elemente, natürlich beruht das Hauptgewicht des
6386 law auf den ersteren. Dieses Uebergewicht der kreativen
Elemente zeigt eben, daß durch die verbindliche Kraft des Prä-
5?) Brgl. H a t schek, Engl. Strafrecht a. a. O., Lambert, La
fonction, a. a. O., s. auch G e r l a n d, Einwirkung, a. a. O.
58) Vrgl. Pollock, The Science of case law, Essays, in jurispru-
dence and ethics, London, Macmillan 1882, IX., S. 237, S almond, Law
Quart. Rev. 16. 376, Jurisprudence, 137; s. auch G e rland, Ein-
wirkung, S. 7 ff.

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