Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 36 (1911))

Beiträge zur Dogmatik des Tarifvertragsrechts. 219
gründen. In diesem Falle würde sich diese Funktion nur darin er-
schöpfen, daß der Verbindlichkeit der einzelnen, die dem Vertragsgegner
oder den Vertragsgegnern gegenüber besteht, die auf Einhaltung des
Tarifvertrags gerichtete Verpflichtung der Parteigenossen untereinander
entspricht: da das Versprechen, welches im Tarifverträge eine Partei
der anderen gibt, gleichzeitig auch im Hinblick auf die Parteigenossen
gegeben wird. Daß aber Hand in Hand mit dieser Gestaltung des
als Teil der Koalitionsverabredung zu charakterisierenden Jnnen-
verhältnisses eine Beziehung der Parteigenossen zu dem Verbände
selbst gehen soll, läßt sich nicht behaupten, insofern man, natürlich,
dem letzteren nur die vermittelnde Rolle eines Vertreters zuweist. Da
das Jnnenverhältnis in diesem Falle als ein Teil der Koalitions-
verabredung zu charakterisieren ist, so ist die Voraussetzung eines festen
und organisierten Zusammenschlusses im Grunde genommen entbehrlich,
da die Koalition wohl auch als Nichtorganisierte Mehrheit, als lose
ad hoc gebildete Gesamtheit Vorkommen kann, wobei ein obligatorisches
Band — bei heutigem Zustande der Gesetzgebung — in derselben Inten-
sität vorhanden ist, wie bei ständigem festgefügtem Zusammenschlüsse
in Form einer korporativen oder quasi-korporativen Organisation.
Ein Versuch, die Vertretungstheorie bei gleichzeitiger Aus-
schaltung der Organisation mit ihrer selbständigen Einwirkung und
eventuell ihr zustehenden primären Funktionen als Normalform der
Vertragschließung aufzustellen, ist neuerdings in der französischen Lite-
ratur unternommen worden. Die französische Rechtstheorie hat bisher das
Wesen und die Natur der Tarifverträge vom Standpunkte der beim
Vertragschluß vorkommenden rechtserheblichen Vorgänge aus beleuchtet:
der rechtliche „Mechanismus" dieser Vorgänge war es hauptsächlich, der
die Konstruktton am meisten interessierte. Man versuchte das Verhältnis
der Mitglieder zu dem Verbände entweder vom Standpunkte der Mandats-
theorie aus oder unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages zugunsten
Dritter aufzufassen. Die beiden Theorien mit verschiedenen Nüan-
cierungen, die auch zu ihrer Kombination führten, beruhen jedoch auf
unrichtiger Grundlage, da man den Mechanismus der Vertrag-
schließung mit dem Wesen und der Natur des Vertrages identifizierte und
den Tarifvertrag selbst als ein besonders gestaltetes Auftragsverhältnis
oder als eine Stipulatton zugunsten Dritter betrachtete, ohne darauf
zu achten, daß im ersten Falle nur das Verhältnis des Verbandes
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