Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 36 (1911))

216

Rundstein.

Jedoch, es geht nicht an, diese Kontrahierungsform als die dem Ge-
schäftszwecke einzig und allein entsprechende zu bewerten und den an-
deren möglichen Kontrahierungsarten das „Recht auf Existenz" ab-
zusprechen oder, im besten Falle, sie nur als „pathologische" Ausnahme-
formen zu betrachten. Freilich: es läßt sich nicht bezweifeln, daß die
sogenannte Vertretungstheorie, die den Tarifvertrag — seinem Wesen
nach — als bloß durch Einheit des Vertrages zusammengehaltene Sum-
mierung von Einzelrechten und -pflichten auffaßt, den Rechtsschutz und
Rechtsverwirklichung bedeutend erschwert. Da aber andererseits die
gewerkschaftlichen Organisationen, die die Einbürgerung und Verbreitung
der Tarifverträge begünstigen, auch die Funktionen des Rechtsschutzes
übernehmen können, wäre es prinzipiell möglich — bei Aufrechterhal-
tung der im Wesen der Tarifregelung liegenden Individualrechte und
-pflichten — gleichzeitig die Garantiefunktion den Verbänden zu über-
lassen. Die wirkliche dem Tatbestände entsprechende Rolle der Verbände
würde dann nicht in der durch die Tatsache des Zusammenschlusses
modifizierten Übertragung der Hauptfunktion, sondern in ihrer Kom-
bination mit der sekundären (wenn auch sehr wichtigen) Schutz- und
Garantieübernahme zum Ausdruck gelangen. Bei solcher Auffassung
läßt sich die Zusammengehörigkeit des wesentlichen Vertragsinhalts
mit der ihm korrespondierenden Rechtsfolge aufrechterhalten und werden
auch die Vorteile der gewerkschaftlichen Organisation in ihrer Bedeutung
für Vertragsschutz nicht verkannt. Unerörtert mag es bleiben, ob diese
kombinierte Vertragschließungsform als eine normale und dem
Zwecke des Rechtsgeschäfts am besten entsprechende gelten soll: der-
artige Erwägungen werden stets subjektiv gefärbt. Es handelt sich
nur um die Feststellung, ob es nicht möglich ist, die Vertrag-
schließung so zu konstruieren, daß das „Singularmoment" berücksichtigt
bleibt und dabei das durch tatsächliche Entwicklung bedingte Moment
der „kollektiven Einwirkung" nicht außer acht gelassen wird. Diese
Frage präjudiziert nicht der als zweckmäßig vorauszusetzenden Richtung
des Parteiwillens; denn dieser wird sich durch Konstruktion nie binden
lassen und kann Kombinationsformen schaffen, die dem wirklichen, nicht
hloß als normal vorauszusetzenden Geschäftszwecke entsprechen werden;
sie präjudiziert auch nicht der Frage, ob eine von der dogmatischen
Untersuchung aufgestellte Konstruktion als die normale anzusehen
wäre, denn die bisherige Erfahrung hat noch nicht einen Durchschnitts-

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer