Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 36 (1911))

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Rundstein.

Verpflichtungen primär nicht übernehmen können. Eine Auffassung,
wonach der Verband verpflichtet ist, beim Abschluß von Arbeitsverträgen
von der normgemäßen Regelung nicht abzuweichen, wäre undenkbar:
denn der Verband schließt keine der in Frage kommenden Tarifregelung
unterworfenen Arbeitsverträge ab. Man könnte nur sagen, daß der
Verband sich verpflichtet, den Arbeitsfrieden aufrecht zu erhalten, für
seine Mitglieder und die Erfüllung der von ihnen primär nicht über-
nommenen Pflichten einzustehen u. dgl. Aber bei dieser Auffassung
würden wir mit Einzelberechtigungen und Einzelverpflichtungen nichts
zu tun haben: die Arbeiter und Arbeitgeber sind berechtigt, die
generelle Normregelung zu ignorieren. Wenn sie von dieser Norm-
regelung abweichen, so haften sie keinesfalls dem Gegenkontrahenten;
und wenn sie sich an die Tarifbestimmungen halten, so geschieht dies
nur deswegen, weil der eigentliche Tarifkontrahent sie dazu aus vereins-
rechtlichen Gründen zwingen kann und sogar zwingen muß, da er
eine daraufhin gehende selbständige Verpflichtung übernommen hat.
Hierdurch kann der Zweck der Tarifregelung auf einem ziemlich kom-
plizierten Umwege erreicht werden, wobei der wesentliche und für den
Tarifvertrag charakteristische Inhalt notwendigerweise verkannt werden
muß3).
Für die Aufstellung der „Normalform" muß demnächst die
Natur des wesentlichen Tarifinhalts maßgebend sein, keinesfalls
aber, wie dies von Sinzheimer behauptet wird, die Jnteressenlage
der Beteiligten^). Ich will nicht in Abrede stellen, daß die Auf-
fassung, wonach der Verband die einzelnen Interessenten gänzlich aus-
schließt und das Tarifverhältnis demgemäß spezifisch ausbilden läßt,
vielleicht dem Geschäftszwecke am besten entspricht. Es muß aber die
Frage aufgeworfen werden, ob die Konstruktion sich nicht in erster Linie
auf Erforschung des der gegebenen Rechtserscheinung innewohnenden
Wesens, ihres ausschlaggebenden Inhalts gründen soll, ob nicht erst
dann die Zweckmäßigkeitsrücksichten in Erwägung gezogen werden sollen
und ob nicht die von ihnen anbefohlene Umbildung der Elemente des
') Vgl. zu dieser Frage Wölbling, Der Akkordvertrag und der Tarif-
vertrag, 1908, S. 365f.; die Klassifikation der Berechtigungen und Verpflichtungen
nach Gruppen des Vertragsinhalts.
*) Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Erster Teil,
1907, S. 72.

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