Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 36 (1911))

Ein FM der MenfchenhUfe im Privatrecht. U
Wenn also durch das Scheuwerden des Pferdes ein Unheil ent-
steht, bei welchem ein Mensch hilflos wird, so darf nicht etwa der
Automobilist im Gefühl seiner Schuldlosigkeit ihn im Stich lassen.
Man denke sich folgenden Fall: Ein Wagen mit Pferden kommt
entgegen und der Automobilist hält, sobald er halten kann; die
Pferde aber, unruhig geworden, reißen den Wagen um und treiben
ihn in den Graben hinunter; wird nun der Wagenkutscher verletzt
und hilflos, so muß der Autoführer sich seiner annehmen.
8 7.
Die Hilfe, die man dem „Hilflosen" zu leisten hat, besteht
darin, daß er aus seiner Hilflosigkeit herausgebracht wird — nicht
absolut, aber doch relativ. Die Hilflosigkeit ist in diesem Sinne be-
seitigt, sobald der Hilflose in den Kreis der hilfefähigen Mensch-
heit gebracht ist; denn die Gefahr der Hilflosigkeit liegt in der
Vereinzelung, in der Entfernung von demjenigen, was die soziale
Menschheit dem einzelnen ist und sein soll. Wer aus der
Isolierung in den Kreis der hilfefähigen Menschheit gebracht wird,
ist vielleicht noch insofern hilflos, als er sich nicht selbst helfen
kann, aber er ist nicht mehr hilflos in unserem Sinne, weil ihm
von seiner Umgebung diejenige Hilfe zuteil werden kann, die er
sich nicht selbst zu geben vermag.
Hilst der Leiter des Gefahrbetriebes dem Hilflosen absolut,
indem er durch sein Eingreifen die Hilflosigkeit entfernt, z. B.
den Ohnmächtigen wieder zur Besinnung bringt, so hat er natür-
lich seine Pflicht doppelt erfüllt. Und ein hilfreiches Eingreifen
in diesem Sinne hat der Leiter des Automobils (allerdings nur in
der Weise eines Dilettanten) dann zu leisten, wenn Gefahr im
Verzüge und sonst niemand gegenwärtig ist.
Im übrigen braucht er seine Fürsorgetätigkeit nach der einen
oder anderen Richtung nicht auf seine Kosten vorzunehmen,
sondern kann nach den Regeln der Menschenhilfe (Geschäfts-
führung, negotiorum gestio) vollen Ersatz verlangen, sofern er
nicht infolge seiner Verschuldung schadensersatzpflichtig ist.
8 8.
Die Verpflichtung zur Hilfe ist eine Verpflichtung nicht nur
gegenüber der Allgemeinheit, sondern auch gegenüber dem Not-

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