Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 38 (1913))

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Hedemann.

Opposition ist sehr beachtlich. Es sind Fälle vorgekommen, in
denen sich das Rechtsgefühl ganz entschieden gegen die Versagung
der richterlichen Hülse aufbäumt. Ein sächsischer Praktiker er-
zählte davon, daß in einem Hebammenverein die Majorität eine
ihr nicht mehr passende Vereinsschwester kurzerhand ehren-
rühriger Handlungen bezichtigt und darauf ausgeschlossen habe.
Es lag klar auf der Hand, daß die Beschuldigungen erlogen
waren, aber nach der herrschenden Lehre hätte das Gericht un-
tätig zusehen müssen, wenn nur das Verfahren der Aus-
stoßung formell richtig verlausen wäre. Man denke nun noch
daran, daß vielleicht in einem nebenhergehenden Beleidigungs-
prozeß die Haltlosigkeit jener Beschuldigungen sogar gerichtlich
festgestellt worden ist. In solchen Fällen kann wohl kaum noch
damit operiert werden, daß die freie Entwickelung des Vereins-
lebens unter der richterlichen Kontrolle leiden würde. Denn es
kommt doch nur darauf an, ein gesundes Vereinsleben zu
schützen, nicht offenbare Auswüchse! Ich möchte mich darum auch
meinerseits in dem Sinne aussprechen, daß die ordentlichen Ge-
richte zuständig sind, die materielle Seite ebenfalls nach-
zuprüfen und Vereinsbeschlüsse, die einen groben Mißbrauch
der Vereinssouveränität darstellen, zu kassieren^)
nun versucht, die ganze Mitgliedschaft als Sonderrecht zu konstruieren und auf diesem
Wege die richterliche Nachprüfung zu erschließen. Mit Recht hat das Reichsgericht
diese gekünstelte Konstruktion verworfen (Entsch. 49, 151). Ebenso Leist, Unter-
suchungen zum inneren Vereinsrecht, S. 124. Immerhin können die vermögens-
rechtlichen Einzelansprüche des Ausgewiesenen unter Umständen genügend ver-
selbständigt sein, um als Sonderrechte zu gelten. Darüber näheres bei Kipp,
a. a. O. S. 325 ff.
*<>) Dieser Abstellung auf „groben Mißbrauch" wird man den Vorwurf der Will-
kürlichkeit nicht machen dürfen. Irgend eine Grenze muß gezogen werden. Da uns
der Gesetzgeber im Stiche gelassen hat, müssen wir sie selber suchen. Ich verweise
auf eine interessante Parallelerscheinung, nämlich auf die Kontrollmacht des Vormund-
schaftsgerichts über den Vormund. Hier darf auch einerseits die Freiheit der Vor-
münder nicht ganz lahmgelegt, andererseits auf staatliche Ueberwachung nicht verzichtet
werden. Bekanntlich geht eine gute und verbreitete Lehre nun dahin, daß das Ge-
richt nicht schon bei bloßer Unzweckmäßigkeit (also einer objektiven Fehlerhaftigkeit),
sondern erst bei Pflichtverletzung (also subjektiver Fehlerhaftigkeit) korrigierend ein-
greifen dürfe. Vgl. den Fuchs schen Kommentar zum Vormundschaftsrecht, Bem. 2
zu § 1837, S. 261. Das ist auch eine Grenzziehung, die erst von der Wissenschaft
geschaffen worden ist. — Uebrigens kann das Wort „grob" auch weggelassen werden,
da seine Ausfüllung ja doch nur vom konkreten Falle abhängt.

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