Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 38 (1913))

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Hedemann.

die gerichtliche Kontrolle zurückzudrängen. Das BGB. hat sich
jedoch zu der Frage nicht geäußert. So herrschte zunächst eine
gewisse Unsicherheit, zumal die preußische und die gemeinrecht-
liche Spruchpraxis einander widersprachen5). Allmählich aber hat
sich unter Führung des Reichsgerichts und in Anlehnung
an die gemeinrechtliche Praxis eine herrschende Meinung ge-
bildet.
Diese herrschende Meinung ist sehr eigentümlich. Sie unter-
scheidet nämlich die Nachprüfung der materiellen Richtig-
tigkeit des Ausweisungsbeschlusses und die Nachprüfung der
formellen Richtigkeit des dabei angewandten Verfahrens.
Und sie will nur die letztere Nachprüfung dem Richter verftatten,
während die Ueberprüfung der materiellen Seite den Gerichten
entzogen sein soll. Wenn also ein Ausgeschlossener sich darüber
beschwert, daß er die ihm vorgeworfene ehrenrührige Hand-
lung gar nicht begangen habe, so wird er damit nicht gehört.
Wenn er aber behauptet, daß der Vorstand bei der Beschluß-
fassung nicht ordnungsmäßig zusammengesetzt war, so greift der
Richter diese Behauptung auf, untersucht ihre Richtigkeit und
erklärt gegebenenfalls den Vereinsbeschluß für ungültig«).
Eigentümlich ist diese Zweiteilung vor allem deshalb, weil
sie im Gesetzestexte mit keinem Worte erwähnt ist. Man sollte
nun bei solchem Schweigen des Gesetzes annehmen, daß ent-
weder in beiden Richtungen oder in keiner die gerichtliche Kon-
trolle zugestanden wird. Warum soll die Kontrolle im materiellen
Punkte ausgeschaltet sein? Man begegnet eigentlich immer nur
dem einen Grunde: Das würde in das Selbstbestimmungs- und
Selbstverwaltungsrecht der Vereine zu sehr eingreifen. Aber
warum gilt nicht dasselbe für die formelle Seite? Greift es
wirklich weniger in das interne Verwaltungsrecht des Vereins
*) Darüber Dernburg, Bürgerliches Recht I § 69 Ziff. VI (3. Aufl. S. 203).
®) Grundlegend für den Bereich des BGB. war namentlich daS Urteil deS
Reichsgerichts. IV. Senat, vom 30. Oktober 1901 (Entfchd. 49. 150 ff. - IW. 1901.
830). Man wird die hier niedergelegte Lehre als herrschend bezeichnen dürfen, wenn
sich muh nicht genau nachprüfen läßt, inwieweit sich die Untergerichte in nicht revi-
siblen Füllen von den Sätzen des Reichsgerichts emanzipiert haben. Interessantes
Material bei A. Leist, Untersuchungen zum inneren BereinSrecht (1904) S. 118ff.
Weitere Angaben über die höhere Spruchpraxis in den Kommentaren bei § 25 oder
39 BGB. — Ueber Widersprüche gegen die HM. unten Anm. 9.

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