Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 38 (1913))

Ausstoßung aus Vereinen.

185

III. Im Vorhergehenden wurde mehrfach von einer Nach-
prüfung durch den ordentlichen Richter gesprochen.
Ob aber überhaupt die Ausstoßung aus einem Verein solcher
gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, ist ein weiteres schwieriges
Problem. Es stoßen hier zwei starke Gewalten aufeinander,
die Autonomie der Vereine und die kontrollierende Macht des
Staates. Von vorneherein ist es klar, daß der Ausgleich zwischen
diesen beiden Mächten sich je nach Zeitgeist und Volksgeist ver-
schieden gestalten wird. Im patriarchalischen Staat des 18. Jahr-
hunderts war selbstverständlich auch die Ausstoßung aus Ver-
einen der fürsorgenden Ueberprüfung des Staates unterstellt.
So heißt es z. B. im Preußischen Landrecht: „Die Corporation
ist berechtigt, Mitglieder, welche diesem (dem gemeinschaftlichen)
Zwecke vorsätzlich, oder sonst beharrlich zuwiderhandeln, aus-
zustoßen. Sie kann aber diese Befugnis nur unter Aufsicht des
Staates, und nach den von ihm vorgeschriebenen Gesetzen aus-
üben" 4). Unsere heutige Zeit ist entschieden mehr geneigt, der
Vereinsautonomie Zugeständnisse zu machen und dementsprechend
füllt worden ist, kann die Frage deS Verfassungsbruchs auftauchen. Daß die
Ausfüllung der Lücke nur durch eine ausdrückliche Satzungsänderung erfolgen könne,
wie das RG. annimmt, ist petitio principii. Täglich füllen wir Lücken der eigent-
lichen Gesetze aus, ohne den Gesetzgebungsapparat in Bewegung zu versetzen; warum
sollen wir nicht in gleicher Weise Lücken der Vereinsstatuten ergänzen? Uebrigens
gerät das Reichsgericht dadurch, daß es auf eine nachträgliche Satzungsänderung ver-
weist, mit einem zweiten, von ihm verwerteten Grund in einen gewissen Widerspruch.
Es sagt nämlich weiterhin: „Schon die Erwägung, daß nach vernünftigem Ermessen
dem Odium einer willkürlichen Ausschließung doch höchstens der ausgesetzt sein
könnte, der sich freiwillig einer in der Satzung vorgesehenen so weit
gehenden Machtbefugnis durch seinen Beitritt oder durch sein Verbleiben im Verein
unterwor'cn hat, müßte, wenn alle anderen Gründe versagen, mit Notwendigkeit zu
einer derartigen Gesetzesauslegung führen." Dann darf doch aber wohl auch nicht
nachträglich die Satzung über den Kopf des Auszuschließenden hinweg von der Majo-
rität dahin geändert werden, daß der Mißliebige nun eben doch hinausgewiesen werden
kann. Gegen diesen zweiten Grund bleibt außerdem noch bestehen, daß die Aus-
legung (und Lückenfüllung) der Satzung, wie schon erwähnt, sich nicht in der sub-
jektiven Richtung der Ergründung des Parteiwillens zu bewegen hat, sondern auf die
Erforschung und Ergänzung objektiver Normen abzielen muß.
Die Ausschließung wegen wichtigen Grundes auf eine Analogie des
Gescllschaftsrechts zu stützen, wie das RG. andeutet, mag angehen. Aber wertvoller
und innerlich begründeter ist m. E. die im Text vorgeschlagene Abstellung auf daS
Uebliche.
4) ALR. II6, 43 f.

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer