Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 13 (1897))

Der Gläubigerverzug.

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Hirsch nimmt dagegen (S. 27 f.) an, daß die Aussetzung den
Charakter der Dereliktion, also der totalen, absoluten Eigenthumsaufgabe
hatte. Warum der Schuldner diese vollziehen sollte, muß man billig fragen:
und billig bezweifeln muß man, daß unsere Vorfahren, wenn der Bauer
dem Fährmann das Geldstück ins Schiff legte oder beim Retraktrecht
den Geldbetrag in einem Tuch ins Fenster hineinwarf, vermeinten, die
Sache wäre dadurch herrenlos geworden und ein jeder hätte sie sich an-
eignen dürfen. Kommt doch Hirsch selbst zu der Annahme, daß, trotz
dieser Herrenlosigkeit der Sache, der Gläubiger den Dritten, der sich
ihrer bemächtigte, mit der actio furti belangen durfte: also ist die Sache
nun doch nicht ohne Rücksicht auf den Gläubiger preisgegeben: denn
daß dieser die actio furti haben sollte, weil eine dritte Person eine fort-
geworfene Sache, die zu seiner Zahlung dienen könnte, z. B. ein auf die
Straße gelegtes Geldstück, das seine Befriedigung bewirken könnte, an sich
nimmt, obgleich diese Sache herrenlos und damit der Okkupation eines
Jeden preisgegeben ist — eine solche Annahme widerspricht den Grund-
lagen des römischen wie des deutschen Rechts.
Ebenso sollte man nicht bezweifeln, daß im alten römischen Recht
der Schuldner die Möglichkeit hatte, das Geld bei sich niederzulegen;
das fr. 7 ckc u8ur. spricht klar hierfür,") und die Ausdrucksweise
der c. 1 qui potiores in pign.: obsignavit et deposuit nec in usus
suos convertit wäre doch gar zu seltsam, wenn man sie etwa so aus-
legen möchte: er hat das Geld bei einem Dritten oder bei einem Tempel
deponirt und später nicht geholt; der natürliche Laut des Ausdrucks
zielt doch dahin, daß er das Geld versiegelt bei Seite gelegt und es
nicht wieder in Gebrauch genommen hat; und so ist es mit den übrigen
von mir allegirten Stellen. Wenn es in fr. 28 § 1 de adm. et per.
tut. heißt: deposuit obsignatam tuto in loco — wie drückt sich irgend
ein Mensch so aus, wenn davon die Rede sein soll, daß das Geld bei
einem Dritten zur Verwahrung gegeben wäre: da spräche man von
einem sicheren Depositar, nicht von einem sicheren Ort.
Es beweist aber für die Bedeutung des deponere — seponere
noch eine meines Wissens bis jetzt nicht berücksichtigte Stelle, fr. 8 § 5
de pecul. leg., welche unten (S. 280) interpretirt werden soll.
Daß nichts destoweniger schon bei den Römern die depositio, sei
es bei Bankiers, sei es in Tempeln, üblich wurde, ist begreiflich, und
4S) Vergl. Abhandlung S. 306.

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