Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 13 (1897))

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I. Köhler.

Daß der Wein dabei zu Grunde geht, ist nichts anderes, als wenn der
Vogel entflieht, den man tradiren will, oder wenn das Leuchtgas, das man
übergeben will, mangels ordentlicher Röhren entweicht, oder das Eis
schmilzt, das man dem Käufer vor die Thüre legt; oder wenn der Male-
sikant entspringt, den man ausliefern soll und in Ermangelung eines
Gerichtsmitgliedes, das ihn abholt, mit dem Rughalm an die Brücke bindet.
Was aber die Bemerkung von Sch eh betrifft, so möchte ich fragen,
ob denn der Akt der Preisgebung ohne jede dingliche Wirkung ver-
bleibt (so etwa wie das Auswerfen der Sache beim Seewurf)? Glaubt
man denn wirklich, wenn der Zehntmann die Zehntgarben liegen ließ,
dies habe keinen dinglichen Effekt gehabt? für wen läßt man sie denn
liegen, als für den Zehntherrn, der sie empfangen und dadurch doch
wohl zum Eigenthümer werden soll? Für wen legt man das Geld
ins Schiff oder auf den Baumstumpf, als für den Schiffer oder den
Förster? und glaubt man, unsere Vorfahren hätten es als ein Unrecht
betrachtet, wenn nun der Schiffer oder Förster das Geld einsteckte und
als das Seinige betrachtete! Ist dies aber richtig, so ist es mit der
blos faktischen Bedeutung der Aussetzung nichts.
Sch eh fragt ferner: warum durfte der Schuldner, der die Sache
preisgiebt, sie nicht wieder zurücknehmen, warum sollte kein Theil einen
Vortheil von der Sache haben? S. 34 f. Ja, die wirthfchaftlichen Nach-
theile der Preisgebung habe ich nie bestritten; allein es ist ein völliges
Verkennen des im ursprünglichen Rechtsleben sich entwickelnden Geistes
der Völker, wenn man glaubt, die Menschen hätten aus utilitaren
Gründen vor solchen energischen Maßnahmen gezittert. Man hat früher
noch mehr gethan: man hat die Sachen der Todten den Göttern geopfert,
man hat die Habe des Verbrechers, ehemals sogar das Haus des zahlungs-
unfähigen Schuldners verwüstet! Der Satz: willst du bezahlen, so
mußt du dich ganz von der Sache frei machen, klingt in den deutschen
Weisthümern unzähligemale an: ein ckounor et rotsuir wäre dem Geiste
der Völker ganz zuwider gewesen; das war nicht ein „schwächlicher",
sondern ein ganz energischer Gerechtigkeitssinn (gegen Schey S. 34).
So wird denn auch schließlich Schey, indem er das alte Recht ohne
den nöthigen historischen Sinn betrachtet, schließlich zur Annahme ge-
führt, daß die Hinterlegung einen ganz anderen Charakter angenommen
habe und, von der Preisgebung verschieden, zum Erfüllungssurrogat
geworden sei (S. 39).

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