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Silberschmidt.
auch der Verwaltungsgerichtshof selbst der Ansicht war (Minister
v. F^älitzsch bei Becher a. a. O. Bd. 3 S. 224), daß im
Interesse der Autorität dieses Gerichtshofs die bindende Kraft der
Vorentscheidung nothwendig sei, damit nicht irgend ein Untergericht
sich darüber hinwegsetze, so hat die bisherige Betrachtung gezeigt, daß
die Voraussetzung nicht richtig war. Aendert sich der Thatbestand, so
muß auch das darauf gegründete Urtheil ein Anderes werden, will
aber das Gericht auf Grund desselben Thatbestandes ein anderes Urtheil
fällen, so hat es Mittel genug, dies zu thun. Wohl aber ist die
ganze bayerische Konstruktion, daß der Verwaltungsgerichtshof zuerst
eine Theilentscheidung fällt mtb dann der Richter die derselben zu
Grunde liegenden Thatsachen nachprüft, geeignet, die Autorität des
Verwaltungsgerichtshofs zu schwächen. Das würde vermieden werden,
wenn man, wie im französischen und preußischen Rechte, also nach dem
von den übrigen Staaten angenommenen Grundsätze, dem Verwaltungs-
gerichtshofe lediglich die Aufgabe zugewiesen hätte, den Rechtsweg
freizugeben oder zu verschließen. Mit Recht wurde auf die Analogie
des Eröffnungsbeschlusses hingewiesen (v. Walter bei Becher a. a. O.
Bd. 2 S. 561, Bd. 3 S. 199), und daß das Gericht, das ihn erlasse,
durch eine spätere Freisprechung nicht an Autorität verliere; denn anders
ist die Voraussetzung einer Verweisung und anders die einer Ver-
urtheilung. Auch darauf wurde schon bei der Berathung des Gesetzes
hingewiesen, daß im deutschen Rechtsleben vielfach verschiedene Gerichte
über denselben Thatbestand urtheilen. Civilrichter und Strafrichter
prüfen dieselbe That und können zu verschiedenen Entscheidungen
kommen, der Abg. Schmidt (Becher a. a. O. Bd. 3 S. 207) Hai
auf die §§ 95 und 96 des Reichs-Unfallversicherungsgesetzes verwiesen,
vgl. auch die Zusammenstellung bei Gaupp-Stein C.P.O. zu § 148
Bd. 1 S. 365.
Entscheidend ist lediglich, daß die Möglichkeit bestehen muß,
beim Vorliegen auseinandergehender Entscheidungen über dieselbe
Frage eine Nachprüfung der einen oder der anderen Entscheiduno
eintreten zu lassen. Hat der Civilrichter, die Folgen einer ab-
geurtheilten Körperverletzung nachprüfend, gefunden, daß eine rechts-
widrige Handlung überhaupt nicht vorlag,.jojjat der Verurtheilte di«
Möglichkeit, die frühere Verurtheilung im Wege der Wiederaufnahnn
des Verfahrens aufheben zu lassen. Dasselbe Mittel muß auch ir