Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 20 (1902))

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Paul Oertmann.

Eine selbständige Stellungnahme zu den von Mendelssohn behandelten
schwierigen prozessualen Fragen verbietet sich an dieser Stelle selbstverständlich.
Nichts liegt mir ferner, als sie als bedenklich oder gar.unrichtig bezeichnen zu
wollen. Aber eins dürfte sicher sein: endgültig erwiesen hat er seine Thesen
trotz aller aufgewendeten Mühewaltung sicherlich nicht. Das ergiebt schon die
eine Thatsache, daß nur wenige Monate später ein neues, ebenso umfassendes
Werk von Hellwig über dieselben Fragen wieder mit einem völlig anderen
Standpunkte hervortreten konnte.^)
Hellwig's Buch ist eine um so hervorragendere Leistung, als der Ver-
fasser uns erst in den beiden Vorjahren mit je einer werthvollen, umfassenden
Monographie beschenkt hatte. Wenn er jetzt schon wieder ein bedeutendes Werk
vorlegt, so stellt das nicht nur seinem Scharfsinne, sondern auch seiner Schaffens-
kraft ein ungemein glänzendes Zeugniß aus. An wissenschaftlichem Werthe wird
man dieses Werk im Vergleiche mit dem von Mendelssohn noch höher einzu-
schätzen haben. An Gedankenreichthum ihm ebenbürtig, übertrifft Hellwig ihn
entschieden an Klarheit und Schärfe der Auffassung und Beweisführung; er bringt
zwar aus dem ausländischen Rechte nur wenig, aber aus dem deutschen Prozeß-
und bürgerlichen Rechte ein desto reicheres Material. Durch nüchterne, vor-
urtheilslose Betrachtungsweise vermeidet Hellwig alle aprioristischen Konstruk-
tionen, wie sie gerade in der behandelten Materie in alter und neuerer Zeit
(so auch bei Binder, s. dagegen S. 53) eine große Rolle gespielt haben.
Er geht aus von der Verschiedenheit der Urtheile als theils konsti-
tutiver (rechtsgestaltender), theils feststellender. Auch Erstere enthalten neben
ihrer sonstigen Bedeutung noch eine Feststellung, und soweit sie dies thun,
wirken sie, wie die anderen feststellenden Urtheile, nur zwischen den Parteien.
Jndeß leidet diese Beschränkung der Feststellungswirkung Ausnahmen: „aus be-
sonderen Gründen erstreckt die Rechtsordnung die Rechtskraft auf dritte Per-
sonen derart, daß die in dem Urtheil enthaltene Feststellung in derselben Weise
dem Dritten gegenüber die absolute Unbestreitbarkeit herbeiführt, als- wenn ihm
selbst gegenüber das Urtheil ergangen wäre", S. 21. Solche Ausnahmen finden
sich in den sogenannten Statusprozessen und anderen Fällen, bei denen sich
nach Hellwig „einheitliche Gesichtspunkte" nicht auffinden lassen. Das Schwer-
gewicht aber legt er auf die in Kapitel III behandelte „Erstreckung der Rechts-
kraft aus den Rechtsnachfolger", S. 92—376. Der hier vorgetragene Stoff
wird wieder in sieben Abschnitte zerlegt: 1. Rechtsnachfolger im Allgemeinen;
2. Grund und Umfang der Rechtskrafterstreckung bei der post rem iudicatam
eingetretenen Rechtsnachfolge; 3. die Rechtskrafterstreckung bei einer während
des Prozesses eintretenden Rechtsnachfolge; 4. die Rechtskraft gegenüber den-
jenigen Nachfolgern, die Rechte von Nichtberechtigten ableiten; 5. die einzelnen
Fälle der Gesammtnachsolge; 6. die einzelnen Arten der Singularsuccession;
7. die Rechtsnachfolge in Verbindlichkeiten.
95) Prof. Dr. Konrad Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der
Rechtskraft. Eine prozessuale Abhandlung mit Beiträgen zum bürgerlichen
Recht. Leipzig, Deichert 1901. XVI u. 527 S. Pr. M. 14.

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