Neuere Untersuchungen über daS deutsche Sachenrecht. 191
denen Arten, wie er zum Besitz der Sache gekommen, aufzuzählen
pflegt, so war auch den Germanen der Gedanke des Eigenthums-
erwerbs nicht klar geworden. Der deutsche Rechtsschutz des Eigen-
thums hat einen relativen Charakter. Es wird nicht Lu ab-
stracto entschieden, wer der Eigenthümer sey, sondern welche der
beiden Parteien ein besseres Recht zum Besitz habe. (Vgl.
auch die Abh. v. Delbrück in d. Zeitschr. f. D. R. XIV. S. 266.)
„Der Schwerpunkt des römischen Eigenthumsschutzes liegt im Pri-
vatrecht, der Schwerpunkt des germanischen Eigenthumsschutzes
liegt im Proceß. Damit soll aber nicht gesagt seyn, daß das Ei-
genthum selbst nicht Fundament des Eigenthumsschutzes gewesen
sey; das Wesen des Gegensatzes liegt vielmehr im Beweise des
Eigenthums."
Mit dem Schlußsätze bin ich völlig einverstanden, nicht ganz
so mit der einleitenden Begründung. Gewiß ist es richtig, daß
eine durchgreifende Verschiedenheit in den Institutionen des römi-
schen und des deutschen Rechts darin zu erkennen ist, daß jenes
einen absoluten, dieses einen relativen Charakter hat. Es
zeigt sich das im öffentlichen, wie im Privatrecht in den mannig-
faltigsten Anwendungen. Aber ich sehe nicht ein, wie aus diesem
Gegensätze allein auch die Verschiedenheit des römischen und des
deutschen Eigenthumsschutzes erklärt werde. Das Eigenthum an
fahrender Habe ist im römischen und im deutschen Rechte ziemlich
gleich absolut; und dennoch tritt die Differenz des Beweisverfah-
rens gerade hier sehr bestimmt hervor. Die römischen Servituten
sind doch auch dem Eigenthum gegenüber relative Rechte, und
dennoch sehen die Römer auch bei ihrer Begründung ebenso auf den
Erwerb, wie bei dem Beweise des Eigenthums. Jener absolute
Charakter des Rechts ist am wenigsten im Obligationenrecht ausgebil-
det, und doch fragen die Römer auch in diesem Gebiet zunächst nach
der Begründung der Forderungen, und legen die Deutschen zwar,
wenn es sich um den Beweis einer Forderung handelt, auf die
Entstehungsform derselben (ob gerichtliches oder außergerichtliches,
offenkundiges oder privates Versprechen) den Nachdruck, aber unter-
scheiden im übrigen die Obligation nach ihrem Inhalt.
Nach jenem ersten wichtigsten Gegensätze des absoluten und rela-
tiven Rechts kommt meines Erachtens noch ein zweiter Unterschied in
Betracht. Die Römer sind überhaupt geneigt, immer zuerst nach