Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 6 (1901))

No. 8.

Deutsche Juristen-Zeitung.

181

auf die zutreffenden Ausführungen von Birkmeyer (Straf-
prozessrecht S. 356 ff.)
b) Darf der Verteidiger das ihm bekannte
Belastungsmaterial verschweigen? Wieder ist
die Antwort nach dem vorher Gesagten zweifellos: Er
darf es nicht nur, er ist verpflichtet dazu; die Mitteilung
dieses Belastungsmaterials an den Richter wäre gröbste
Pflichtverletzung, der die strengste ehrengerichtliche Be-
strafung folgen sollte. Die Aufstellung des entgegen-
gesetzten Grundsatzes würde die notwendige Folge haben,
dafs die Beigebung des Beistandes eine Gefährdung des
Beschuldigten wäre.
c) Darf der Verteidiger eine Rechtsansicht
vertreten, die er für unrichtig hält? Ganz gewiss.
Auch hier wieder haben wir davon auszugehen, dafs die
persönlichen juristischen Ansichten des einzelnen Ver-
teidigers gleichgültig sind. Auch hier handelt es sich nicht
darum, dafs der Verteidiger etwa mit dem Brustton der
Ueberzeugung die von ihm für unrichtig gehaltene Meinung
vertritt. Aber er wird die Gründe objektiv und sachlich
geltend zu machen haben, die gegen die seinem Klienten
ungünstige Rechtsauffassung sprechen, die Ansichten der
Schriftsteller anführen, die Reichsgerichts-Entscheidungen
anrufen u. s. w. Der Verteidiger steht auch hier nicht
anders da, als der Staatsanwalt, der auf Anweisung seines
Vorgesetzten eine Ansicht vor Gericht verteidigen mufs,
von deren Unhaltbarkeit er überzeugt ist; der z. B. eine
Anklage wegen Spielens in auswärtigen Lotterien zu ver-
treten hat, auch wenn er in UebereinStimmung mit Ols-
hausen, Frank und meinem Lehrbuch das preufsische
Gesetz betr. das Spiel in aufserpreufsischen Lotterien für
rechtsunwirksam erachtet.
3. Der Verteidiger hat die Interessen des Beschuldigten
aber auch wirklich wahrzunehmen. Seine Aufgabe geht
über die rein negative Abwehr hinaus. Soweit es sich
um die Hauptverhandlung handelt, ist die Sachlage
klar. Schwieriger liegt die Sache für das Vorverfahren.
Hier hat das Gesetz, die Anschauungen des Inquisitions-
prozesses festhaltend, dem Beschuldigten und seinem Ver-
teidiger die selbständige Mitwirkung an der Beweisauf-
nahme versagt. Seine Zuziehung beschränkt sich auf
Fälle, die ausnahmsweise definitive sein werden. Es bleibt
daher dem gewissenhaften Verteidiger gar nichts anderes
übrig, als eigene, selbständige Erkundigung. Wenn
der Zeuge behauptet, von einem bestimmten Orte aus eine
bestimmte Handlung des Beschuldigten gesehen, eine be-
stimmte Aeufserung desselben gehört zu haben, so wird
der Verteidiger an Ort und Stelle die Richtigkeit dieser
Behauptung nachzuprüfen haben; er wird sich nach dem
Leumund der Belastungszeugen erkundigen, die Meinung
von Sachverständigen einholen müssen u. s. w. Die Ver-
wendung von privaten Detektiv-Instituten wird ihm so
lange nicht verwehrt werden können, als ihm polizeiliche
Beamte nicht zur Verfügung gestellt werden.
Hier können sich Schwierigkeiten und Bedenklich-
keiten ergeben. Der Verteidiger kann durch den Ver-
kehr mit den Zeugen und anderen Personen in unan-
genehme, für seinen Ruf gefährliche Lagen kommen, und
welche Gefahren für die Wahrheitserforschung durch
solche private Nebenuntersuchung herbeigeführt werden
könuen, liegt auf der Hand. Aber das ist die Schuld der
Engherzigkeit unserer Gesetzgebung, die dem Verteidiger
eine selbständige Einwirkung auf die Beweisaufnahme im
Vorverfahren versagt. Ist doch die gesamte Gestaltung
des Vorverfahrens der wundeste Punkt unserer Straf-
gesetzgebung.
In der Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten
sind dem Verteidiger die Grenzen gezogen zunächst

durch das Gesetz. Es ist ganz sicher Begünstigung, wie
das vor kurzem von Lilienthal in der Deutschen Juristen-
Zeitung (No. 5 1901) ausgeführt hat, wenn er das Beweis-
material verfälscht, wenn er auf Zeugen einwirkt, wenn
er Urkunden u. s. w. beiseite schafft.
Die Grenzen werden ihm ferner gezogen durch die
Rücksicht auf seine Stellung und auf Pflichten
persönlicher Ehrenhaftigkeit. Unehrenhaft aber ist
es, wenn der Verteidiger mit dem Brustton der Ueber-
zeugung die Unschuld seines Klienten vertritt, während
er von dessen Schuld überzeugt ist, und unehrenhaft,
wenn er das Gesetz verdreht oder die politischen Leiden-
schaften der Geschworenen wachruft, unehrenhaft, wenn
er die Aussagen der Zeugen entstellt oder diese grundlos
verdächtigt u. s. w. Aber das alles gilt in durchaus
gleicher Weise auch vom Staatsanwalt, und ich vermag
beim besten Willen hier keine besonderen Schwierigkeiten
in der Beurteilung einzelner Fragen zu erblicken.
Nur eines bedarf vielleicht der besonderen Betonung.
Der Beruf des Verteidigers ist ein edler, der besten
Kräfte würdiger. Dazu gehört eine ausgebreitete Kenntnis
auf den verschiedensten Gebieten des Wissens, reiche
Lebenserfahrung, ein weiter psychologischer Blick, kampf-
bereite Geistesgegenwart und eine gewinnende, an Ver-
stand und Herz sich wendende Beredsamkeit. Wie der
Arzt und der Priester in das menschliche Elend und
Laster herabsteigen müssen, so ist, dem Angeklagten in
dem Kampf für Freiheit und Leben seine hülfreiche Hand
zu bieten, ein gewifs gleich vornehmer und würdiger
Beruf. Es mag sein, dafs er nicht nach jedermanns
Geschmack ist. Doch dies ist eine subjektive An-
schauung, die aber unrichtig wird, sobald sie mit der
Prätention objektiver Allgemeingültigkeit auftritt. Wenn
der Verteidiger sein Amt pflichtgemäss ausübt, warum
sollte es weniger vornehm sein als das des Staatsanwalts?
Wie dieser die Anklage erhebt und durchführt im Interesse
der Rechtsordnung, so führt auch der Verteidiger die
Verteidigung im Interesse der Rechtsordnung.
Das ist Theorie, wird man vielleicht einwenden.
Es soll auch nichts anderes sein. Wie das vom Gesetz-
geber vorgezeichnete Ideal im Leben sich verwirklicht,
das hängt nicht vom Gesetzgeber ab, sondern von den
Männern, die er berufen hat. Wenn, was ich nicht zu
beurteilen vermag, sich Mifsstände ergeben haben, so
können sie nur durch den Anwaltstand selbst ge-
hoben werden, der in seinen besten Vertretern sich
künftig von der Verteidigerthätigkeit weniger zurück-
halten sollte.“
In der sich an den Vortrag anschliefsenden Dis-
kussion traten die meisten Redner dem Vortragenden in
allen Punkten bei. Es wurde hervorgehoben, dafs das
Recht für den Verteidiger, aufseramtliche Erkundigungen
einzuziehen, direkt durch den § 245 Abs. 2 StrPO. an-
erkannt sei, der dem Gericht die Pflicht auferlege, dem
Verteidiger die zu Erkundigungen notwendige Zeit zu
gewähren und event. sogar die Hauptverhandlung auszu-
setzen. Dem vereinzelt und unter Widerspruch der Ver-
sammlung vorgebrachten Argument, dafs der kategorische
Imperativ der Pflicht es dem Anwalt verwehre, auf „Nicht
schuldig“ zu plädieren, wenn er von der Schuld über-
zeugt sei, da nur der Unschuldige ein Recht auf Frei-
sprechung habe, begegnete der Redner in seinem Schluss-
wort durch das zutreffende, unter lebhaftem Beifall der
Versammlung aufgenommene Argument, dafs diese Ansicht
dem Standpunkt des Gesetzes strikt widerspreche. Hier-
nach habe nicht blos der Unschuldige ein Recht auf Frei-
sprechung, sondern jeder, gegen den der Beweis
der Schuld in der Haupt Verhandlung nicht er-

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