25.6.7.
Alternative Feststellung in Strafurteilen und die Wahrheit im Prozesse
(LR. a. D. Dr. Sieskind)
1261
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 20.
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Gläubiger außerdem jederzeit die Möglichkeit hat, durch
einfache Erklärung bei dem Grundbuchamt die Löschung zu
verhindern. Ich würde für eine solche Bestimmung, die etwa
hinter § 22 einzuschalten wäre, in teil weiser Anlehnung
an § 23 GBO. folgende Fassung vorschlagen:
„Zur Löschung von Hypotheken, Grund- und Renten-
schulden bedarf es der Bewilligung desjenigen, dessen
Recht von der Löschung betroffen wird, nicht, wenn seit
der letzten sich auf die Hypothek, Grund- und Renten-
schuld beziehenden Eintragung in das Grundbuch 30 Jahre
verstrichen sind und nicht im Grundbuch eingetragen ist,
daß die Löschung auf Grund dieser Bestimmung ausge-
schlossen ist. Die Löschung unterbleibt, wenn derjenige,
dessen Recht von ihr betroffen wird, bei dem Grundbuch-
amte der Löschung widersprochen hat; der Widerspruch
ist von Amts wegen in das Grundbuch einzutragen.“
Bedenkt man, daß schon der Code civil (Art. 2154)
die Wirkung von in das Hypothekenregister eingetragenen
Hypotheken und Privilegien schlechthin erlöschen läßt, falls
nicht die Eintragung vor Ablauf einer Frist von 10 Jahren
erneuert wird, dann wird man die vorgeschlagene Bestim-
mung kaum als zu radikal verwerfen. Erfolgt auf Grund
dieser wirklich einmal die Löschung einer noch zu Recht
bestehenden Hypothek, so bleibt es dem Gläubiger, der von
der Löschungbenachrichtigt wird, unbenommen, die Hypothek
im Wege der Grundbuchberichtigung wieder zur Eintragung
zu bringen. Erleidet er dadurch einen Schaden, daß ihm
ein in der Zwischenzeit eingetragenes, durch den öffent-
lichen Glauben des Grundbuchs geschütztes Recht zuvorge-
kommen ist, so wird ihn dieser Schaden meist auch nicht
unverdient treffen; er hätte ja rechtzeitig Widerspruch er-
heben können. Vigilantibus jura sunt scripta!
Amtsrichter Dr. Zeitler, München.
Alternative Feststellung in Strafurteilen und
die Wahrheit im Prozesse. Aus der Fülle der An-
regungen, die der interessante Vortrag des Prof. Dr.
Rumpf: „Die Richter und die Verbrechensbekämpfung im
neuen Strafrecht“ auf dem 3. Richtertag gebracht hat,
möchte ich einen Punkt herausgreifen, der wegen seiner
Bedeutung eine Klarstellung verdient.
Rumpf trat für die alternative Feststellung ein und be-
rührte damit ein Gebiet, dessen Schwierigkeiten dem Straf-
richter täglich entgegentreten. Wie weit soll und darf sich die
Unbestimmtheit einer Feststellung erstrecken? Der Möglich-
keit, eine Ungewißheit in mancher Hinsicht bestehen zu
lassen, wird die Rechtspflege nie ganz entbehren können,
da eine in alle Einzelheiten gehende Aufklärung oft nicht
zu erzielen ist und es nicht angeht, aus diesem Grunde
offenkundige Missetaten straflos zu lassen. Daher sind
auch alternative Feststellungen bereits dem geltenden Straf-
recht nicht ganz fremd; allmählich, aber nur in beschränktem
Maße, hat das Reichsgericht sie zugelassen.*) Es begrenzt
sie nach zwei Seiten hin. Einmal darf es sich lediglich
um verschiedene Ausführungsarten eines und desselben
Delikts handeln, welche einen verschiedenen Tatbestand
nicht bedingen, und dann muß das Gesetz selbst diese
mehreren Arten der Ausführung als gleichwertige neben-
einander stellen. Eine ähnliche Begrenzung oder über-
haupt eine Schranke kennt Rumpf nicht. Sein Vorschlag
geht schlechthin dahin: „Eine Handlung ist auch dann
strafbar, wenn sie gegen eins von mehteren Strafgesetzen
verstößt, wenn sich aber nicht feststellen läßt, gegen
welches“, und wendet im übrigen das die mildeste Strafe
oder Strafart androhende Gesetz an. Eine solche schranken-
lose Zulassung der Alternative scheint mir sehr bedenklich.
i) Bd. 9 S. 22, 12 S. 347, 15 S. 304, 22 S. 216, 23 S. 47, 26 S. 157,
28 S. 98, 32 S. 85, 35 S. 299, 35 S. 357, 36 S. 19.
Zunächst ist daran festzuhalten, daß eine Strafe nur
verhängt werden darf, wenn die Handlung derart festge-
stellt werden kann, daß in ihr die sämtlichen Merkmale
einer bestimmten Strafnorm zu finden sind; es muß un-
zweideutig sich ergeben, daß ein bestimmtes Strafgesetz
verletzt ist. Glaubt man von diesem obersten Grundsätze
abgehen zu müssen, so muß Gewähr geschaffen werden,
daß nicht ohne Not hiervon abgegangen wird. Das RG.
beschränkt die Zulässigkeit der Alternative auf ein Mi-
nimum; Rumpf geht weit darüber hinaus; er unterläßt
es, eine scharfe Grenze zu ziehen, so daß man Gefahr
läuft, sich zu verlieren. Nach Rumpf ist die Handlung
eine Straftat; aber es soll dahingestellt bleiben, welche
von mehreren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen wirklich
zutreffen. Läßt sich hier überhaupt noch von einer „Fest-
stellung“ reden, wo alle Zweifel darüber, welches Gesetz
der Entscheidung zugrunde zu legen ist oder gelegt wird,
uneingeschränkt aufrechterhalten werden? Als Gegenstück
müßte man die Feststellung von verschiedenen selbständigen
Taten, z. B. zwei sich widersprechenden Eiden, und dabei
die Nichtaufklärung zulassen, welche von ihnen die Straftat
ist. Ich glaube, eine derartige Bestimmung würde all-
gemein scharfen Widerspruch her vorrufen. Soll es in dem
anderen Falle aber anders stehen? Es kann doch nicht
auf sich beruhen, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig,
als Anstifter oder Gehilfe gehandelt hat, ob ein Diebstahl
oder eine Unterschlagung vorliegt, bloß, weil die mensch-
liche Schwäche eine positive Aufklärung nicht zu erzielen
vermag? Wo bleibt der Ruf nach Wahrhaftigkeit, der
auf dem Gebiet des Zivilprozesses immer stärker wird?
In dem vom Oberamtsrichter Riß angeführten Falle
wurde ein Mann, der seinem Vermieter aus dem Kasten
einen Rock weggenommen hat, freigesprochen, weil die
Richter sich nicht einigen konnten, ob es sich um Diebstahl
oder Unterschlagung handelte. Künftig soll der Mann be-
straft werden, und zwar aus dem milderen Gesetz wegen Unter-
schlagung. Die Ermittlung der Wahrheit tritt hiernach in
den Hintergrund; in der Hauptsache kommt es darauf an,
zu einer Verurteilung zu gelangen, und da hierzu eine
positive Feststellung nicht ausreicht, greift man zu einer
alternativen. Man bekennt zwar damit, daß ein non liquet
vorliegt, aber man kann doch strafen und so dem Volks-
empfinden Rechnung tragen, das für äußerlich strafwürdige
Taten schlechthin eine Sühne glaubt fordern zu sollen.
Man glaubt damit etwas gewinnen zu können, man ver-
hehle sich aber nur nicht, daß man damit auf dem besten
Wege ist, sich von der Wahrheit zu entfernen; wo die
Grenzen sich verwischen, soll das Dunkel bleiben. Da
erscheint es noch besser, das non liquet als das zu be-
kennen, was es ist, und zu einem Freispruch zu gelangen.
Tritt bei der alternativen Feststellung überhaupt die
entsprechende Sühne ein? Doch nicht, da die mildeste
Strafe auszusprechen ist. Und weiter, sollte der Zweifel
über die Schuld an einer schwereren Straftat trotzdem
nicht noch bei der Strafabmessung Einfluß ausüben und
den immerhin noch weiten Rahmen der „mildesten Strafe“
recht bedeutend in Anspruch nehmen?
Ich fürchte, daß die Zulassung der alternativen Fest-
stellung in jener Allgemeinheit überhaupt zu großer Ober-
flächlichkeit in der Beweis Würdigung und in der Sub-
sumtionstätigkeit führen kann. Es ist kaum zu verkennen,
daß die Zulässigkeit der Alternative auch dazu verleitet,
sich mit dieser Möglichkeit zu begnügen. Die Alternative
kommt vornehmlich nur in schwierigen Fällen, wo die
Grenzen der verschiedenen Tatbestände schon flüssig sind,
in Frage, und da birgt sie die Gefahr, daß der Richter
die Schwierigkeiten umgeht, da es ihm offen steht, auch
ohne sie zu einem Urteile zu kommen, indem er zur alter-