Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

25.6.3. Zwei Verdeutschungs-Vorschläge

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 20.

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Erwägungen heraus keine Polizei-Assistentin angestellt,
sondern eine aus Vereinsmitteln besoldete Fürsorgedame
damit betraut, in freiem, von keiner Amtsfessel beengten
Wirken sich der gefährdeten Jugendlichen anzunehmen.
Selbst hier sind Kollisionen der Pflichten nicht ausgeschlossen.
Ein Mädchen wendet sich etwa an die Fürsorgedame mit
der Bitte, ihr bei Beantragung eines Arbeits- oder Gesinde-
buches, bei Erlangung einer vormundschaftlichen Geneh-
migung oder elterlicher Verzeihung behilflich zu sein. Die
Fürsorgedame ersieht aus den herangezogenen Polizeiakten,
daß die Bittstellerin von der Kriminalpolizei oder zur
Strafvollstreckung gesucht wird. Die Auslieferung ah die
Behörde würde natürlich das Vertrauen zur Fürsorgestelle
in den beteiligten Kreisen untergraben. Anderseits erscheint
es bedenklich, wenn die Jugendlichen den Eindruck empfangen,
als mache die Helferin gemeinsame Sache mit ihnen gegen
die Staatsgewalt. Den Ausschlag muß das wohlverstandene
wahre Interesse des Schützlings geben. Meist, namentlich
wenn die Verfehlung bereits zu amtlicher Kenntnis gelangt
ist, wird das Einlenken in geordnete Lebensbahnen doch
unmöglich bleiben, bevor das Strafkonto beglichen ist.
Diese Erkenntnis ist dem Schuldigen beizubringen, frei-
willige Gestellung und Geständnis müssen erzielt, gleich-
zeitig natürlich alle Hilfen zur Erleichterung seines Ge-
schickes gewährt werden. Bleibt der Schuldige verstockt,
so mag die Fürsorge die Hand von ihm ziehen, aber nicht
zur Angeberin werden.
Auch dem Jugendgerichtshelfer öffnet sich kein anderer
Ausweg, wenngleich er sich vielleicht einer noch schwieri-
geren Lage gegenüber sieht. Seine Ermittelungen dienen
dazu, den Spruch des Richters vorzubereiten, dessen Blick
keine Falte im Herzen des Angeklagten verborgen bleiben
sollte. Wirklich wertvolles Material wird der Helfer aber nur
beibringen können, wenn er als Vertrauensmann des Täters
und seiner Angehörigen tieferen Einblick in die Seelen
und Verhältnisse erhält. Diese Grundlage der Jugend-
gerichtshilfe wird erschüttert durch jedes Verhalten eines
Helfers, das wie in dem Frankfurter Falle als Vertrauens-
bruch empfunden wird. Also kein anderer Ausweg, als
den Beschuldigten zu überzeugen, daß allein das Be-
kenntnis der Wahrheit sein Bestes bedeutet und den
Rückweg in die Gesellschaft ebnet. Gelingt dies nicht,
so wird der Helfer schweigen. Eine ungesühnte Straftat
mehr oder weniger, was will das besagen gegenüber dem
unermeßlichen Schaden, der hier der großen Sache der
Jugendfürsorge droht und der zur Abwehr sogar das Ein-
greifen des Gesetzgebers erfordern dürfte!
Nach der Rechtsprechung ist die Verlesung des von
dem Jugendgerichtshelfer gelieferten Berichts in der Haupt-
verhandlung unzulässig. Die Nutzung dieses Ermittlungs-
stoffes wird dadurch erreicht, daß der Helfer zum Ver-
teidiger bestellt oder als Zeuge gehört und ihm dadurch
die Vortragsmöglichkeit eröffnet wird. *) Im ersten Falle
unterliegt er der Schweigepflicht gemäß § 300 StrGB. und
genießt das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Z. 2 StrPO.),
falls er vernommen wird. Kommt der Helfer dagegen nur
als Zeuge — ohne Verteidigerqualität — zu Worte, so zwingt
ihn die Frage nach seinem Wissen um das Vorleben des
Angeklagten zu rückhaltloser Aussage auch gegen den Willen
und das Interesse seines Schutzbefohlenen. Die Aner-
kennung einer Schweigepflicht für Jugendgerichtshelfer
durch deren Aufnahme unter die zur Zeugnisverweigerung
berechtigten Personen würde Pflichtenkollisionen Vorbeugen
und zugleich außer Zweifel stellen, in welchem Sinne der
Staat die Mitarbeit der freien Liebestätigkeit wünscht.
Regierungsrat Dr. Linden au, Berlin.

Zwei Verdeutschungs-Vorschläge. 1. Das deutsche
BGB. hat zwar die „Zession“ in den §§ 398 bis 413
durch „Abtretung“ ersetzt, neben welchem Worte noch
„Uebertragung“ gebraucht wird. Das „Hebertragen“
einer Forderung auf einen andern durch Vertrag ist
die „Abtretung“. Nicht gewagt hat aber der Gesetzgeber
die Schaffung kurzer Rechtskunstwörter für den „Ze-
denten“ und den „Zessionär“. Und doch hätte es
nahe gelegen, solche aus dem Allg. Bürgerlichen Gesetz-
buche für Oesterreich zu entlehnen. Dort wird als Heber-
schrift vor dem § 1393 zwar auch „Zession“ gebraucht, und
in diesem Paragraphen selbst ist gesagt: „Eine solche Hand-
lung heißt Abtretung (Zession)“. Im § 1395 liest man
dann aber noch: „Durch den Abtretungs-Vertrag entsteht nur
zwischen dem Ueb er träger (Zedent) und dem Heber-
nehmer der Forderung (Zessionär), nicht aber zwischen
dem letzten und dem übernommenen Schuldner (Zessus)
eine neue Verbindlichkeit.“ Diese Worte „Heberträger“
und „Hebernehmer“ werden auch noch an andern Stellen
des Gesetzbuches als technische gebraucht. Sprachlich ist
es gewiß unbedenklich, aus „übertragen“ das Haupt-
wort „Ueb er träger“ abzuleiten; denn auch von „tragen“
bildet man „Träger“. Dabei würde sich gerade an das
Rechtswort „Uebertragung“ in unserm BGB. der Heber-
träger außerordentlich bequem anschließen lassen. Auch
gegen „Hebernehmer“ für Zessionär wird sich nicht das
geringste einwenden lassen. Beide Wörter klingen weit
lebenskräftiger als die farblosen, den Rechtsvorgang der
Uebertragung selbst gar nicht kennzeichnenden Um-
schreibungen, die das BGB. für Zedent und Zessionär in
den Ausdrücken „neuer Gläubiger“ und „bisheriger
Gläubiger“ als ständige Bezeichnungen angewendet hat
(§§ 398, 401, 402 usw.). — Möchten doch Rechtswissen-
schaft und Rechtsprechung recht bald und recht fleißig
von den alten guten deutschen Wörtern des öster-
reichischen Gesetzbuches Gebrauch machen!
2. Eine Verdeutschung für „Bureauvorsteher“ im
Sinne des Vorstehers des Rechtsanwalts- oder Notar-
Bureaus scheint vielen noch immer nicht angängig zu sein.
Peinlich, wie man stets ist, wenn man ein deutsches Wort
als gute Verdeutschung für ein Fremdwort anerkennen
soll (umgekehrt natürlich macht das keine Bedenken!), wird
mancher mit „Geschäftsführer“, Geschäftsvorsteher4 oder
„Geschäftswart“ (als Vorsteher der „Geschäftsstube44, „Ge-
schäftsstelle“) oder mit „Schreibwart“ (nach „Schreib-
stube“, „Schreiberei“ — vgl. „Gerichtsschreiberei“) oder
gar mit „Oberschreiber“ (!) keineswegs zufrieden sein.
Ich möchte nun aber darauf aufmerksam machen, daß in
Süddeutschland und Oesterreich schon längst das Bureau
des Anwalts und Notars mit „Kanzlei“ bezeichnet wird.
Danach würde sich für den B.-Vorsteher ohne weiteres
das Wort „Kanzleivorsteher“ ergeben. Für noch weit
besser erachte ich das ältere Wort „Kanzler“ (gebildet
aus cancellarius — Kanzleivorsteher). Es wäre verfehlt,
durch Hinweis auf unsern „Reichskanzlei“ diesen Vor-
schlag als von vornherein „unmöglich“ hinzustellen. Denn
auch der „Sekretäre“ (der B.-Vorsteher ist ja ein „Privat-
sekretär“) gibt es sowohl solche in ganz hohen Aemtern
(Staatssekretär und Unterstaatssekretär) wie solche in unter-
geordneter Stellung. Die Verdeutschung „Kanzler“ würde auch
für Vorsteher staatlicher und städtischer Amtsstuben vielfach
passen, am besten aber doch für die, welche wirklich einer
„Kanzlei“ — Schreibstube vorgeordnet sind. Eine solche ist
ja die „Anwaltstube“. Uebrigens heißen „Kanzler“ bekannt-
lich schon längst die Vorsteher der Amtsstuben unsrer Reichs-
konsuln, wie auch mancher Schutzgebiets-Gouverneure1 i)).

1) Koehne in Duensing, Handbuch f. Jugendpflege S. 123.

i) Vgl. VO. betr. die Tagegelder usw. v. 23. April 1879 (RGBl. S.127>
in der neuen Fassung der Rkzlr.-Bek. v. 8. Sept. 1910 (RGBl. S. 993) § 1.

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