24.1.7.
Konrad Hellwig [gestorben]
(Geh. JR., Prof. Dr. Seckel)
1181
XVIII. Jahrg. Deutsche Juris ten-Zeitung. 1913 Nr. 19.
1182
Abgelehnt wurde die weitere These, daß sich
zu 3. die Aufnahme einer gesetzlichen Bestimmung
empfehle; die Mehrheit der Versammlung war der
Ansicht, daß es unzweckmäßig sei, selbstverständ-
liche Dinge in das Gesetz hineinzuschieben.
Den Verhandlungen folgte ein großes Fest-
essen, an welchem etwa 1100 Personen teilnahmen,
und Ausflüge in das Riesengebirge und das ober-
schlesische Industriegebiet, die beide viel Schönes
und Sehenswertes boten.
Das Festessen schloß mit einem von RA.
Dr. Tarnowski, Breslau, verfaßten Festspiel, dessen
zündender Witz die Teilnehmer begeisterte. Zahl-
reiche Rechtsfiguren des täglichen Rechtslebens
fanden hier humorvollste Beleuchtung, die beste wohl
der 1500 M.-Vertrag.
Justizrat Dr. Arthur Lemberg, Breslau.
Konrad Hellwig +■
Erschütternd rasch,hat ein beklagenswerter Ver-
lust die deutsche Juristenwelt getroffen. Nach kurzer
Krankheit ist Konrad Hell wig am 7.Sept. hinweggerafft
worden, der lebensprühende und schaffensfreudige
Mann, dem menschliche Voraussicht noch lange
Jahre fruchtbaren Wirkens zugemessen hätte.
Geboren war Hell wig am 27. Sept. 1856 zu
Zierenberg bei Kassel, woselbst er auch das Gym-
nasium absolvierte. Dem Studium lag er an den
Universitäten Heidelberg, Leipzig, Straßburg und
Marburg ob. In Straßburg hat er auch (1878) die
Doktorwürde erlangt. Bald nach seinem Assessor-
examen entschloß er sich zur Habilitation. Im Jahre
1883 erlangte er in Leipzig die Venia legendi für
römisches Recht. Schon 1885 wurde er Extraordi-
narius in Rostock und im Herbst 1885 Ordinarius
für römisches Recht und Zivilprozeß in Gießen.
Von Gießen 1888 wieder weggerufen, schlug er in
14jähriger Wirksamkeit feste Wurzeln in Erlangen.
Bis zu seinem 43. Lebensjahre trat er als Schrift-
steller wenig hervor; 1878 erschien seine Unter-
suchung über die Haftung des veräußernden gut-
gläubigen Besitzers einer fremden Sache, 1884
seine Verpfändung und Pfändung von Forderungen,
gute Durchschnittsleistungen, die aber ihren Ver-
fasser noch nicht zum berühmten Manne machen
konnten. Nun aber überraschte er die Fachgenossen
in beispiellos schneller Folge binnen drei Jahren
mit drei ausgezeichneten und tiefgründigen Mono-
graphien: 1899 Verträge auf Leistung an Dritte,
1900 Anspruch und Klagrecht, 1901 Wesen und
subjektive Grenzen der Rechtskraft. Damit trat
er auf einen Schlag in die allervorderste Reihe der
Kenner undDenker desProzeß- und des neuen bürger-
lichen Rechts. Die Anerkennung blieb nicht aus;
1902 wurde er nach Berlin berufen. Eine unermüd-
liche Tätigkeit als Forscher, Lehrer, Fakultätsmitglied
und Examinator füllte die verhältnismäßig kurze
Spanne seiner aufreibenden Berliner Zeit aus. Als
Forscher und Schriftsteller wandte er sich der
Systematik großen Stiles zu. Er plante zunächst
ein Lehrbuch des Zivilprozeßrechts; zur Ausführung
kamen drei inhaltsschwere Bände (I. 1902, II. 1906,
III. 1908), die freilich den Lehrbuchton von Anfang
an nicht trafen, vielmehr als Sammlung geistvoller
Monographien zu charakterisieren sein dürften. Da
auch ein Abschluß des Lehrbuchs noch lange nicht
abzusehen war, entschloß sich Hell wig, ein kürzeres
„System“ zu schreiben. Wie das Lehrbuch ein System
geworden war, so wurde das System ein wirkliches
Lehrbuch; es ermöglicht einen raschen und gründ-
lichen Einblick in unser Prozeßrecht, wie es sich im
Kopfe eines unserer größten Prozessualisten spiegelt.
Das „System“ ist in der Hauptsache vollendet (1912/13);
über der Ausarbeitung der Lehre von der Zwangs-
vollstreckung ereilte den nimmer müden Verfasser
der Tod. Feinsinnige Abhandlungen begleiteten die
systematischen Hauptwerke (Klagrecht und Klag-
möglichkeit, 1905; Grenzen der Rückwirkung, 1907;
Prozeßhandlung und Rechtsgeschäft, 1910).
Die reiche und fruchtbare Lehrtätigkeit Hellwigs
in Berlin erstreckte sich auf das römische, bürger-
liche und Zivilprozeßrecht. Alle seine Vorlesungen
und Hebungen, deren Teilnehmer in die Hunderte
gingen, erzielten die tiefste und breiteste Wirkung.
Eine Frucht seiner Praktika sind die anregenden
Sammlungen von Rechtsfällen. Jedes dritte Jahr
führte er eine ausgewählte Schar von befähigten
Rechtsjüngern im juristischen Seminar tiefer in die
Probleme des Privat- und Prozeßrechts ein. Des
klaren und temperamentvollen Vortrags ihres be-
geisterten und begeisternden Lehrers werden sich
viele noch lange dankbar erinnern.
Zum Forscher und Lehrer war Hellwig von der
Natur mit glänzenden Gaben ausgestattet. Es eig-
neten ihm eine nie ermüdende Arbeitsenergie, eine
in alle Tiefen der Dogmatik hineinleuchtende Denk-
kraft, rasche und originelle Auffassung, ein untrüg-
liches Gedächtnis, der ein dringendste Scharfsinn,
treffsicheres Urteil, die Gabe eindringlicher Rede
und eindrucksvoller Repräsentation.
Hellwig war mit Leidenschaft Jurist. Zwar war
er Spezialist, aber ein Spezialist von großem Zuge.
Alle seine Monographien hatten hochgesteckte Ziele.
Sie sind überwiegend den allgemeinen Lehren des
Prozeßrechts, des Schuldrechts, des gesamten bürger-
lichen Rechts gewidmet. Die obersten Probleme des
Zivil- und Prozeßrechts verfolgte er mit einer Energie
sondergleichen bis in ihre äußersten Verästelungen,
wozu ihn eine außergewöhnliche Herrschaft über den
positivrechtlichen Rohstoff (zumal auf dem ihm wie
wenigen vertrauten Grenzgebiete zwischen Privat-
und Prozeßrecht), sowie eine durchdringende Schärfe
des Blicks und eine nie versagende Kombinations-
gabe befähigten. Daher der übersprudelnde Ge-
dankenreichtum seiner Bücher, die durchweg mehr
enthalten, als ihr Titel ahnen läßt.
Viele neue Probleme hat Hellwig als erster an-
geschnitten, viele alte in neue Beleuchtung gerückt,
obwohl er in der Methode nicht auf Neuerungen ausging»
Sein zivilprozessuales Denken wurzeltin der Gedanken-
welt von Wach, dem auch Hellwigs großes Lehr-
buch gewidmet ist. Den Wachschen Begriff des
Rechtsschutzanspruchs (Klagrechts) hat er selbständig
weitergebildet und ausgestaltet.
Hellwig war einer unserer feinsten und schärfsten
Dogmatiker. Vieles von dem, was er dachte, und
von der Art, wie er es dachte, wird bleibender Ge-
winn unserer Wissenschaft sein und in der weiter-
führenden Arbeit der Nachfolger seine Flüchte tragen.
Pectus facit iurisconsultum — dieses Kennwort
hat Hellwig auf das Titelblatt seines letzten Prozeß-
werkes gesetzt. Er lebte der Ueberzeugung, daß es
der Rechtswissenschaft gelingen müsse, die Rechts-
pflege zeitgemäß auszugestalten, wo das positive