Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

23.1.5. Ludwig von Bar [gestorben]

1119

XVIII. Jahrg. Deutsche juris ten-Zeitung. 1913 Nr. 18.

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durch das eine inhaltlich unsittliche Leistung, etwa
ein Mord oder eine Notzucht, zugesagt wird.
Der Käufer kann somit mit Recht auf Löschung
der nichtigen Bordellhypothek klagen oder die Ein-
tragung eines Widerspruchs, ja, unter den Voraus-
setzungen des § 29 Schlußsatz u. § 42 GrundbuchO.,
auch die Berichtigung des Grundbuchs ohne weiteres
nach § 22 GrundbuchO. durchsetzen.

Ludwig von Bar t-
Ein Stern erster Größe am juristischen Himmel
ist erloschen: Carl Ludwig von Bar ist, 77 Jahre
alt, am 20. Aug. zu Folkestone unerwartet ver-
schieden. Bar ist in den Sielen gestorben, auf der
Rückreise von Oxford, wo er an den Verhandlungen
des Institut de droit international noch regsten
Anteil genommen hatte, und erfüllt von der Absicht,
anfangs Oktober den Vorsitz zu übernehmen bei der
nach Nürnberg einberufenen Versammlung der „Ver-
einigung für internationale Verständigung“. Hier
sollte er auch einen Vortrag halten über den seit
Jahren von ihm gehegten Plan der Errichtung einer
besonders gearteten Akademie für internationales
Recht; ihre Hauptaufgabe, neben wissenschaftlicher
Arbeit und höherer Lehrtätigkeit, sollte darin be-
stehen, über Streitfragen des Völkerrechts und
internationalen Privat- und Strafrechts sich gut-
achtlich auszusprechen und so, ohne Einsetzung eines
förmlichen Schiedsgerichts, die seit der 1. offiziellen
Friedenskonferenz von 1899 organisierte internatio-
nale Schiedsgerichtsbarkeit zu ergänzen und den
Schiedsgerichtshof zu entlasten.
Die Beschäftigung mit internationalem Recht
war für Bar von jeher die Quelle reichster Erfolge.
Kaum 26 jährig, hat er 1862 die Wissenschaft mit
seinem Werk „Das internationale Privat- und Straf-
recht“ überrascht, dessen Gehalt an Wissensstoff
aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissen-
schaft der verschiedensten Länder, an kritischer Be-
arbeitung und neuen schöpferischen Gedanken so
groß war, daß man hätte denken mögen, es sei
die Frucht jahrzehntelangen Studiums gewesen. Ihm
verdankte er es auch, daß er kurz nach der Grün-
dung des Institut de droit international in dieses als
Mitglied aufgenommen wurde und, besonders nach-
dem 1889 der privatrechtliche Teil unter dem Titel
„Theorie und Praxis des internat. Privatrechts“ in
2. Auflage und 1892 ein kürzer gefaßtes „Lehrbuch
des internationalen Privat- und Strafrechts“ erschienen
war, sein Name als des Begründers der deutschen
Schule dieser Disziplin sich über die ganze zivilisierte
Welt verbreitete. An den Arbeiten des Institut d. d. i.
beteiligte er sich eitrigst, wiederholt auch als Bericht-
erstatter; dort lauschten auch die größten Autori-
täten auf seine Worte als die eines Meisters. Auch
seine letzte größere Arbeit, das „Internationale
Handelsrecht“ bewegte sich in denselben Bahnen.
Seine weiteren Pläne, die er dem Freunde anver-
traute, die „Theorie und Praxis“ wiederum den
modernen Verhältnissen anzupassen und ein Werk
über die Grundlagen des Völkerrechts zu schreiben,
konnte er leider nicht mehr ausführen; hoffent-
lich finden sich in seinem Nachlaß Aufzeichnungen
darüber als reife Blüten seiner abgeklärten Denker-
tätigkeit.

Auch in seinen weiteren Lehrfächern, Straf-,
Strafprozeß- und Zivilprozeßrecht, hat er Hervor-
ragendes geleistet. Wie er, gleichsam die großartige
wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands voraus-
ahnend, für sie in seinen international-rechtlichen
Arbeiten den rechtlichen Boden vorbereitet hat, so
erscheint er auf dem Gebiete des Strafrechts als ziel-
bewußter Vorläufer der modernen Anschauungen;
in seiner Geschichte des deutschen Strafrechts ver-
kündete er den Satz: „Das mißbilligende Urteil (der
menschlichen Gemeinschaft) gilt zunächst der Tat;
aber es richtet sich mit Notwendigkeit auch gegen den
Täter; denn eine Tat kann ohne Täter nicht gedacht
werden .... Die Tat erscheint als Produkt des Wesens
oder Charakters des Täters.“ In Monographien
und Abhandlungen behandelte er viele schwierige
Strafrechtsfragen in meisterhafter Weise, und am Vor-
abend der Reform des Strafrechts schenkte er uns sein
dreibändiges Werk „Gesetz und Schuld im Strafrecht“,
in dem er die wichtigsten Lehren des Allg. Teils zu-
sammenfassend darstellte. Und bei und nach der
Schaffung einer einheitlichen deutschen Gesetzgebung
auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts- und Straf-
verfahrens trat er jeweils mit wertvollen Beiträgen her-
vor, um dem deutschen Volke ein den modernen Er-
rungenschaften entsprechendes Recht zu sichern. Baris
wissenschaftliche Betätigung erstreckte sich nahezu auf
das gesamte Gebiet der Jurisprudenz, auch auf das des
bürgerlichen Rechts; bekannt ist hier seine vorzüg-
liche Darstellung des „Hannoverschen Hypotheken-
rechts nach dem Gesetze von 1864“. Mit Fragen
des übrigen öffentlichen Rechts, namentlich des
Staatsrechts, befaßte er sich besonders aus Anlaß
seiner politischen Tätigkeit. So ist die Zahl seiner
kleineren Aufsätzeund Abhandlungen geradezu Legion.
Bei allen seinen Arbeiten hat ihm, wie er es
selbst einmal sagt, „die liebevolle Hi ugäbe an den
Stoff als Ideal vorgeschwebt“, und hinsichtlich ihres
Inhaltes leitete ihn immer das Streben darzustellen,
was „die Natur der Sache“ mit sich bringe und
fordere. Von solchem Gesichtspunkte konnte sich,
ohne Fehlgehen befürchten zu müssen, der Mann
leiten lassen, der bei aller theoretischen Gründlich-
keit nie das Ziel aus den Augen ließ, Stellung zu
nehmen zu den wichtigen Bedürfnissen des prakti-
schen Kulturlebens, und dessen Veranlagung ihn auch
in den Stand setzte, das Richtige zu treffen.
Die Tiefe seines Geistes und Gemütes vermag
nur zu ermessen, wem es vergönnt war, im per-
sönlichen Verkehr mit ihm die Grenzprobleme des
menschlichen Lebens zu erörtern und schwierige
Fragen der Wissenschaft zu ergründen. Vornehm
und feinsinnig in Denken und Fühlen, begeisterungs-
fähig für alles Edle und Schöne, geistreich in Ernst
und Scherz, im Grunde seines Wesens durchaus
friedfertig und versöhnlich, zeigte er sich entschieden
und fest, wenn es galt, eine wissenschaftliche oder
politische Anschauung zu vertreten. Nach äußeren
Ehren strebte er nicht; und wenn er solcher teil-
haftig wurde — er war Präsident (1891) und Ehren-
mitglied des Institut d. d. i., Mitglied des inter-
nationalen Schiedsgerichtshofs im Haag, des Rates
der interparlamentarischen Union, Ehrendoktor der
Universitäten Bologna, Cambridge und Oxford,
Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften
und Künste in Padua, Inhaber der preußischen
großen goldenen Medaille für Wissenschaft sowie
hoher in- und ausländischer Orden —, so galten

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