23.1.3.
Die Grundwertzuwachssteuer in ihrer jetzigen Gestalt und ihre rechtsfördernden Wirkungen
(KGR. Dr. Boethke)
1109
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 18.
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Die Grundwertzuwaehssteuer
in ihrer jetzigen Gestalt und ihre rechts-
fördernden Wirkungen.
Von Kammergerichtsrat Dr. Boethke, Berlin.
Der Gedanke, eine Wertzuwachssteuer für
Grundstücke einzuführen, hat sich, sobald einmal
der Anfang gemacht war, schnell Bahn gebrochen.
Nachdem die Steuer kaum ein Jahrzehnt als Ge-
meinde - (Kreis-) Abgabe und in einzelnen Gebieten
(Lippe, Hamburg, Lübeck) auch als Staatssteuer be-
standen hatte, wurde sie durch Reichsges. v. 14. Febr.
1911 mit Wirkung v. 1. Jan. 1911 als Reichssteuer
eingeführt, unter der Beschränkung, daß das Reich nur
mit 50% des Rohertrages beteiligt wurde. Die Er-
regung, die durch dieses Gesetz erzeugt wurde, ist be-
kannt. Die Stimmen, die für Abschaffung der Steuer
eintraten, sogar ihre Einführung den Gemeinden und
Gemeindeverbänden untersagt wissen wollten, mehrten
sich schnell. Daß ein solcher Umschwung möglich
war, wird man dem Zuwachssteuergedanken an sich
kaum zuschreiben können. Denn wo vorher die
Steuer als Gemeinde- oder Staatsabgabe eingeführt
war, wurde sie nicht in Grund und Boden verdammt.
Man wird deshalb nicht fehlgehen, wenn man die
Ursache für die Unbeliebtheit der Steuer in der
Art ihrer Ausgestaltung erblickt. Gibt es doch nur
wenige Gesetze, die technisch so unvollkommen
sind und so viele Unbegreiflichkeiten aufweisen,
wie das Gesetz v. 14. Febr. 1911.1)
Weit eher, als man noch vor kurzem erwarten
konnte, hat die Reichssteuer als solche zu bestehen
aufgehört. Die Einführung einer allgemeinen Ver-
mögenszuwachssteuer machte ihre Aufhebung zur
Notwendigkeit, wenn anders nicht eine Doppel-
besteuerung des Zuwachses am Grundbesitze ein-
treten sollte. Da jedoch an der bisherigen Grundwert-
zuwachssteuer nicht nur das Reich, sondern auch
die Gemeinden und die Einzelstaaten beteiligt waren,
so wurde durch das Reichsgesetz v. 3. Juli 1913 nur
der Reichsanteil (50%) mit Wirkung v. 1. Juli 1913
ab außer Hebung gesetzt. Eine zwingende Folge
hiervon war die, daß für die nach dem 30. Juni
eingetretenen Steuerfälle die Reichsbehörden (Reicbs-
schatzamt, Bundesrat) außer Tätigkeit gesetzt und
daß ihr Wirkungskreis auf die Landeszentralbehörden
übertragen wurde.
Die Aenderungen, die sonst noch an dem Ge-
setz v. 14. Febr. 1911 vorgenommen sind, berühren
nicht das Wesen der Steuer. Durch § 1 Abs. 2
war bisher Steuerfreiheit vorgesehen lür den Fall,
daß der Veräußerungspreis einen gewissen Betrag
nicht übersteigt, -unter der Voraussetzung, daß der
Veräußerer oder sein Ehegatte nicht mehr als
2000 M. Einkommen hat. Diese Beschränkung ist
gefallen; die Steuerfreiheit ist nur an die Bedingung
geknüpft, daß kein gewerbsmäßiger Grundstücks-
handel vorliegt. Eine weitere Milderung liegt darin,
daß — unter gewissen Einschränkungen — von der
Erhebung der Steuer insoweit abgesehen werden
kann, als die Veranlagungskosten außer Verhältnis
zum Ertrage stehen.
Sehr übel wird man in Grundbesitzerkreisen
die Bestimmungen empfinden, wonach die Steuer
im vollen bisherigen Umfange zugunsten gewisser
Gemeinden erhoben wird, in denen eine Zuwachs-
steuer schon vor dem 1. April 1909 beschlossen
und vor dem 1. Jan. 1911 in Kraft getreten war.
Das so zurechtgestutzte Gesetz erweist sich
nur als ein subsidiäres. Denn es ist vorgeschrieben,
daß durch Landesgesetz oder — in Gemäßheit des
Landesrechts — durch ortsstatutarische Bestimmung
die Besteuerung des Wertzuwachses anders geregelt
werden kann. Damit ist — wenigstens für Preußen
— der frühere Rechtszustand teilweise wiederher-
gestellt; das Reichsgesetz bleibt zwar vorläufig in
Kraft, es kann aber allerwärts beseitigt und durch
neue Steuernormen ersetzt werden. In Preußen
bieten das Kommunalabgabeuges. v. 14. Juli 1893
und das Kreis- und Provinzialabgabenges. v. 23. April
1906 dazu die Handhabe. Es muß bezweifelt werden,
daß der Reichsgesetzgeber alle Folgen genügend
durchdacht hat; denn es erheben sich sofort ver-
schiedene Zweifel. Das Reichsgesetz enthält zahl-
reiche Vorschriften, die nach dem bestehenden
preuß. Landesrecht für Gemeinde- und Kreis-
Steuerordnungen unzulässig sind. So unterwirft es
auch rein schuldrechtliche Vorgänge der Besteue-
rung (§ 5), während nach dem Kreis- und Pro-
vinzialabgabengesetz (§ 6) die Steuerpflicht nur an
den dinglichen Erwerb des Grundstücks geknüpft
werden darf.1) Das Reichsgesetz stellt ferner dem
Uebergange des Eigentums an Grundstücken den
Uebergang von Rechten an dem Vermögen gewisser
Gesellschaften gleich (§ 3). Das Oberverwaltungs-
gericht hat in ständiger Rechtsprechung2) solche
Bestimmungen in Steuerordnungen (allerdings we-
sentlich aus Rücksichten der örtlichen Zuständigkeit)
für unzulässig erklärt. Sind nun diese landesrecht-
lichen Beschränkungen weggefallen? Können die
Kreise und Gemeinden das Reichsgesetz für ihre
Zwecke beliebig umbilden, ohne sich an die bis-
herigen landesgesetzlichen Beschränkungen binden
zu müssen? Oder müssen sie bei einer Abänderung
auch alle die Bestimmungen des Reichsgesetzes
fallen lassen, die ihnen landesgesetzlich bisher ver-
schlossen waren? Die landesgesetzlichen Beschrän-
kungen würden bedeutungslos sein, wenn die Steuer-
ordnungen die reichsgesetzlichen Freiheiten ausnutzen
und im übrigen nach freiem Belieben verfahren
dürften. Die Fragen sind schwer zu entscheiden.
Vielleicht entschließt man sich zu einer landesrecht-
lichen Regelung, die auch in anderen Beziehungen
ein Bedürfnis ist.
Man muß sich jedenfalls damit abfinden, daß
die Zuwachssteuer — wenn auch in milderer Form
— bestehen bleibt. Es ist zu erwarten, daß sie in
vielen Gemeinden abgeschafft wird. In zahlreichen
*) Entsch. des OVG. v. 20. Mai 1911, Preuß. VerwBl. 34, 207.
2) Entsch. v. 5. Jan. 1911, Bd. 58 8. 122, Preuß. VeiwBl. 32
Entsch. v. 25. Jan. 1912, Bd. 62 S. 262, Preuß. VerwBl. 34 Nr, 47.
i) Vgl. Lion, S, 832 d. Bl.